Seit fünf Jahren ist der Finanzdienstleister Wirecard pleite. Aktionäre und Gläubiger haben Milliarden verloren. Aber wer bekommt noch Geld aus der Insolvenzmasse? Die Frage geht nach Karlsruhe.
Nach Wirecard-Insolvenz: BGH prüft Ansprüche von Aktionären
Nach dem Zusammenbruch von Wirecard hoffen viele Aktionäre darauf, zumindest einen Teil ihres Geldes aus der Insolvenzmasse zu erhalten. Doch ist ihr Anspruch auf Schadensersatz gleichrangig mit den Ansprüchen anderer Gläubiger, die noch Geld von dem insolventen Zahlungsdienstleister erhalten? Diese Frage wird am Donnerstag vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt. Ob an diesem Tag bereits ein Urteil gefällt wird, ist bisher ungewiss.
Im vorliegenden Fall fordert die Vermögensverwaltung Union Investment von Wirecard Schadenersatz. Der ehemalige Dax-Konzern wird beschuldigt, über Jahre hinweg ein nicht existierendes Geschäftsmodell vorgetäuscht und seine finanzielle Situation falsch dargestellt zu haben. „Hätten Anleger die Wahrheit gekannt, hätten sie keine Aktien gekauft“, argumentiert das Investmentunternehmen. Daher hätten sie Anspruch auf Ersatz des entstandenen Vermögensschadens.
Aktionäre als einfache Gläubiger?
Union Investment hat daher Forderungen in Höhe von fast 10 Millionen Euro zur Wirecard-Insolvenztabelle angemeldet. Allerdings bestreitet Insolvenzverwalter Michael Jaffé diese Ansprüche. Er betrachtet die Forderungen der Gläubiger bei der Verteilung der Insolvenzmasse als prioritär. Denn: Wirecard schuldet unter anderem kreditgebenden Banken und ehemaligen Angestellten viel Geld.
Im Gegensatz dazu haben die Aktionäre zwar Kursverluste erlitten, haben jedoch dem Unternehmen weder Geld geliehen noch andere Leistungen erbracht, für die Wirecard ihnen noch eine Zahlung schuldet. Wenn ihre Ansprüche gleichrangig wären, würden die anderen Gläubiger viel weniger Geld erhalten. Laut Insolvenzverwalter Jaffé würden die Aktionäre nur berücksichtigt, wenn am Ende des Insolvenzverfahrens noch Geld übrig wäre – was jedoch unwahrscheinlich ist.
Milliarden-Forderungen im Insolvenzverfahren
Etwa 50.000 Wirecard-Aktionäre haben laut BGH Schadenersatz in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle angemeldet. Insgesamt fordern die Wirecard-Gläubiger 15,4 Milliarden Euro. Die Insolvenzmasse beträgt jedoch nur rund 650 Millionen Euro. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Gläubiger nur einen sehr kleinen Teil ihrer Forderungen erhalten werden.
Nachdem die Klage von Union Investment zunächst am Landgericht München abgewiesen wurde, konnte sie schließlich einen Erfolg verbuchen. Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied im September 2024 in einem Zwischenurteil, dass Aktionäre ihre Ansprüche auf Schadenersatz als einfache Insolvenzforderungen geltend machen können.
Urteil könnte weitreichende Folgen haben
Bisher gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Thema. Das bevorstehende Urteil aus Karlsruhe könnte daher auch für Insolvenzverwalter, Aktionäre und andere Gläubigergruppen in Insolvenzverfahren weitreichende Folgen haben, erklärt Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenzrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun.
Falls der BGH die Rechtsauffassung des OLG München bestätigt, könnten Insolvenzverfahren künftig möglicherweise komplizierter und aufwendiger werden, da auch Ansprüche von Aktionären geprüft werden müssten“, sagt sie. Zudem könnten Banken und Investoren bei der Kreditvergabe zurückhaltender werden, wenn sie in Zukunft mit einer größeren Anzahl konkurrierender Forderungen im Insolvenzfall rechnen müssten.
Zweite Runde in München
Wie auch immer der BGH am Ende entscheiden mag, eines ist sicher: Das OLG München wird erneut mit dem Fall befassen müssen. Zunächst klärt der BGH nur grundsätzlich, ob die Ansprüche der Aktionäre mit denen anderer Gläubiger gleichgestellt sind. Sollte das Gericht zugunsten der Aktionäre entscheiden, müsste das OLG in einer weiteren Runde feststellen, in welcher Höhe diese Ansprüche bestehen, so Rechtsanwalt Michael Rozijn.
Dann wird laut dem Experten für Gesellschaftsrecht auch die schwierige Frage aufkommen, wie die Schadenshöhe bemessen wird – und wie überhaupt nachgewiesen werden kann, dass die von Wirecard unterlassene Information tatsächlich den Kauf der Aktien und damit später den Verlust der Aktionäre verursacht hat. Es könnte also noch einige Zeit dauern, bis ein endgültiger Schlussstrich unter das Wirecard-Insolvenzverfahren gezogen wird.