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Nord Stream 2 – Putins Erpressungsversuch

Die russische Führung will ihre Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb nehmen. Der Kreml sieht in Europas Gasknappheit seine Chance, um das Projekt trotz der Sanktionen durchzudrücken.

Wladimir Putin hält Europa für schwach.
Foto: Sergei Savostyanov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Kremlchef Wladimir Putin kostet den Moment voll aus: Mit subtilem Lächeln doziert er darüber, dass die Europäer an ihrer Gaskrise selbst schuld seien, weil sie lieber auf alternative statt traditionelle Energieträger setzten und dann noch Russland sanktionierten.

Die Energie aus Wind und Sonne aber reiche nicht aus und bestehende Pipelinerouten wegen nötiger Reparaturen auch nicht. «Aber was das Gas betrifft, so haben wir noch eine fertige Trasse – das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen», sagte Putin am Rande eines Gipfels im fernen Iran.

Vor dem Hintergrund des Streits um eine Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 und der Ungewissheit, ob und in welchem Umfang künftig über deren in der Ostsee verlegte Stränge Gas geliefert werden kann, klingt dies wie ein verlockendes Angebot. Aber nur aus Kreml-Sicht.

Wie ein Feilscher auf dem Basar drängt der russische Präsident in Teheran die Europäer zur Eile. Schnell zugreifen, denn die Hälfte der für Nord Stream 2 gedachten Ressourcen sei schon jetzt für die Binnennachfrage und die eigene Gasverarbeitung verplant, sagt Putin. Darauf habe er Bundeskanzler Olaf Scholz schon vor eineinhalb Monaten bei einem Telefonat hingewiesen, nachdem dieser die Frage nach einer Indienststellung von Nord Stream 2 als unzeitgemäß abgetan habe.

Moskau beharrt darauf, dass Nord Stream 2 ein rein kommerzielles Projekt sei. Jahrelang wurde dieser Standpunkt auch von der Bundesregierung geteilt. Vorwürfe – unter anderem von US-Präsident Donald Trump – Deutschland begebe sich mit der Pipeline in eine zu große Energieabhängigkeit von Russland, wies Berlin mit dem Hinweis darauf zurück, dass der Chef des Weißen Hauses vor allem an einem größeren Absatz eigener Energieträger interessiert sei.

Doch natürlich war Nord Stream 2 nie allein mit wirtschaftlichen Interessen verbunden. Für Moskau ging es schon damals darum, mit dieser Pipeline, die ähnlich wie ihr Vorgänger Nord Stream 1 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas vom russischen Wyborg durch die Ostsee ins beschauliche Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern bringen sollte, die Transitroute durch die Ukraine überflüssig zu machen.

Nach außen hin begründete die russische Führung dies damit, ein unsicheres Transitland zu umgehen. Aber vor allem sollte der unliebsame Nachbar von den Milliardeneinnahmen jährlich, die für das Durchpumpen des Rohstoffs fällig wurden, abgeschnitten werden.

Wie Deutschland reagiert

Putin biss mit seiner Aussage, doch nun Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, in Berlin auf Granit. Die Bundesregierung bekräftigte am Mittwoch ihre Position: die Pipeline sei nicht zertifiziert und damit rechtlich nicht zugelassen.

Deutlicher wurden Politiker der Ampel-Koalition: «Angesichts unserer realen Herausforderungen beschäftigen wir uns nicht mit einem derart plumpen Erpressungsversuch», sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. «Das Thema Nord Stream 2 ist aus gutem Grund erledigt – und dieser Grund sitzt im Kreml.»

Lange hatte Berlin trotz großer internationaler Kritik politisch an Nord Stream 2 festgehalten. Am 22. Februar, noch vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, aber legte Berlin die vor allem in den USA heftig umstrittene Pipeline auf Eis.

Überhaupt nur mit Überlegungen, Nord Stream 2 nun doch in Betrieb zu nehmen, würde Deutschland wohl die internationale Allianz gegen Russland sprengen. Die Bundesregierung würde außerdem ihre eigenen Ambitionen konterkarieren: nämlich möglichst schnell weniger abhängig zu werden von russischem Gas. Allerdings dauert das.

Am Mittwoch schaute die Bundesregierung gebannt vor allem darauf, ob Putin nach der Wartung von Nord Stream 1 den Gashahn wieder aufdreht. Hinter den Kulissen war von einem perfiden Spiel Putins die Rede, das «Katz- und Maus-Spiel» gehe weiter. Eine Gasmangellage könne schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft haben, Firmen und Verbraucher ächzen bereits unter der Preisexplosion.

Oberste Priorität für die Bundesregierung hat es, gut über den Winter zu kommen. Dazu müssen die Speicher möglichst voll sein. Erste eigene Terminals zum Import von Flüssigerdgas sollen zum Jahreswechsel in Betrieb gehen. Kohlekraftwerke sollen aus der Reserve, um Gas einzusparen. Dazu kommt der Appell an Unternehmen und private Haushalte, Energie einzusparen.

Europa gilt im Kreml als schwach

Dass Putin trotzdem so beharrlich auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 setzt, erklärt sich aus dem Selbstverständnis heraus, mit dem Moskau den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat und den darauf folgenden Sanktionen des Westens begegnet: Russland setzt darauf, in dem Konflikt den längeren Atem und das bessere Durchhaltevermögen zu haben. Das als verweichlicht angesehene Europa werde schon einknicken und die Sanktionen aufheben, wenn der Lebensstandard der eigenen Bürger sinke, so die Überzeugung.

Immer wieder versucht auch Putin die Europäer darauf zu stoßen, dass die Sanktionen nicht funktionieren. Und mehrfach hat er vor allem Berlin schon mit massivem Druck zum Einlenken gezwungen. So hat sich Deutschland in die Regelung gefügt, für Gas künftig auf ein Rubelkonto einer russischen Staatsbank einzuzahlen. Aus Angst vor Engpässen bei der Gasversorgung ist die deutsche Regierung Moskau auch bei der Frage der eigentlich sanktionierten Lieferung von Turbinen entgegen gekommen und hat Kanada um eine Ausnahmeregelung gebeten.

Im gleichen Stil hofft Putin nun darauf, dass der Westen auf seine erpresserische Forderung eingeht, die Beendigung der Blockade ukrainischer Getreideexporte an Sanktionserleichterungen gegen Russland zu koppeln. Oder, dass Nord Stream 2 entgegen aller vorherigen Aussagen doch noch in Betrieb genommen wird.

dpa