Der Unternehmer feiert seinen 90. Geburtstag und hinterlässt eine der am besten dokumentierten Kaufmannsbiografien in Deutschland.
Reinhold Würth: Vom Schraubenkönig zum Weltmarktführer

Ein paar Zeilen. Gedanken, Beobachtungen, vielleicht eine Erkenntnis. Seit Jahrzehnten hält der als «Schraubenkönig» bekannte Reinhold Würth sein Leben in Tagebüchern fest – es ist damit wohl eine der am besten dokumentierten Kaufmannsbiografien in Deutschland. Zu erzählen gibt es viel: Aus dem Schraubenhandel seines Vaters formte Würth einen Weltkonzern mit Milliardenumsatz. Am kommenden Sonntag (20. April) feiert der Unternehmer aus dem Nordosten Baden-Württembergs seinen 90. Geburtstag.
Über das Tagebuchschreiben sagte Würth in einem früheren Interview: «Das ist schlichte Gewohnheit. Und ich habe mir gar nicht tiefer überlegt, warum ich das mache». Aber es habe einen Sinn. Es sei das Dokument eines Unternehmers – und Geschichtsschreibung. Nach einer Karenzzeit «kann ein Student sicher mal eine Dissertation draus machen».
Vom Lehrling zum Unternehmer
Die Geschichte von Reinhold Würth beginnt am 20. April 1935. Nach Kriegs- und Schulzeit beginnt er 1949 eine Lehre in der Schraubengroßhandlung seines Vaters in Künzelsau (Hohenlohekreis). Doch er bleibt nicht lange Lehrling: Nur fünf Jahre später stirbt Adolf Würth. Der damals 19-Jährige übernimmt den kleinen Betrieb – und expandiert in den folgenden Jahrzehnten im großen Stil.
Die Würth-Gruppe ist heute als Weltmarktführer im Bereich der Befestigungs- und Montagetechnik anerkannt. Das Sortiment umfasst über eine Million Produkte, darunter Werkzeuge und Arbeitsschutz-Artikel, die neben Schrauben und Dübeln angeboten werden. Ein Teil der Produkte wird intern hergestellt. Insgesamt waren zuletzt mehr als 88.500 Mitarbeiter für den Konzern tätig, davon gut 27.400 in Deutschland.
«Der Verkäuferberuf ist der schönste auf der ganzen Welt»
Würth hat sein Unternehmen wohl auch deshalb so groß machen können, weil er selbst ein passionierter Verkäufer ist. «Der Verkäuferberuf ist der schönste auf der ganzen Welt, weil Sie permanent mit allen Sorten von Menschen, die auf Gottes Erdboden leben, in Kontakt kommen», urteilte er. Würth nahm zu seinen Kunden oft das Flugzeug – und saß selbst als Pilot im Cockpit.
Würths Entschlossenheit zeigt sich in seiner Geschichte, wie er zum Fliegen kam. Als er auf dem Weg zu einem Termin im Stau stand, dachte er: „Das kann’s ja wohl nicht sein.“ Also kaufte er spontan eine Cessna, machte einen Flugschein – und erreichte seine Ziele von da an noch schneller.
Einer von Würths Wegbegleitern ist Albert Berner. Beide gingen zusammen zur Schule, später wurden sie Konkurrenten. Die Berner-Gruppe hat ein ähnliches Angebot, ist aber um ein Vielfaches kleiner. 1952 hatte Berner eine Lehre zum Großhandelskaufmann bei Würth begonnen. «Da ich einen Führerschein besaß, konnte ich in den Außendienst». Dort habe er den Umgang mit Kunden und das Verkaufen von der Pike auf gelernt, berichtet er.
Und er hat auch eine Anekdote parat: Auf einer Vertriebstour seien die zwei Männer am Bodensee verabredet gewesen. Während Reinhold Würth auf ihn gewartet habe, habe er seine Frau Carmen kennengelernt. Das Paar ist seit 1956 verheiratet. «Auch diese Geschichte verbindet uns», erzählt Berner.
Aktiv bis ins hohe Alter
Der einstige Zwei-Mann-Betrieb hat Würth zum Milliardär gemacht – er zählt heute zu den reichsten Deutschen. «Ich würde nicht viel anders machen als ich es gemacht habe», sagte Würth. Sicher gebe es den ein oder anderen Traum, den er sich vielleicht gerne erfüllt hätte. «Aber die Disziplin zu wahren ist, glaube ich, die Aufgabe derer, die viel Geld haben. Ich glaube, dass es mir gelungen ist, mich vom Geld nicht korrumpieren zu lassen.»
Der Konzern ist am Stammsitz jedoch nicht nur ein Arbeitgeber. Die gesamte Region wird als Würth-Land angesehen: Dort gibt es beispielsweise einen nahe gelegenen Flughafen, eine Hochschule, ein Sinfonieorchester sowie ein Kultur- und Kongresszentrum, die den Namen tragen. Würth ist zudem ein Kunstmäzen und hat seine Sammlung kontinuierlich erweitert. Zuletzt umfasste sie mehr als 20.000 Werke, die in mehreren Museen in seiner Heimat und an Firmenstandorten im Ausland ausgestellt werden.
Der Familienunternehmer positionierte sich in der Vergangenheit auch immer wieder politisch. Vor einem guten Jahr machte er zum Beispiel Schlagzeilen, als er seinen Beschäftigten in Deutschland davon abriet, für die AfD zu stimmen. In einem fünfseitigen Schreiben warnte er mögliche Protestwähler damals: «Bloß wegen ein bisschen Spaß an der Freude Rabatz zu machen und aus Unmut über die Ampelregierung die AfD zu wählen, ist einfach zu wenig.» Niemand müsse hierzulande hungern oder frieren.
Erfolgsgeschichte hat auch Ecken und Kanten
Auch in der Geschichte des Aufstiegs von Würth gab es weniger glanzvolle Seiten: In Deutschland existierte beispielsweise bis 2019 kein Betriebsrat bei Würth. Dies hatte jedoch keinen negativen Einfluss auf die Belegschaft – die Bezahlung war überdurchschnittlich und das Betriebsklima intakt. Dennoch gab es gelegentlich Auseinandersetzungen mit einzelnen Arbeitnehmervertretern des Konzerns.
Die Chefin der IG Metall in Baden-Württemberg, Barbara Resch, sagte über Würth: «Gerade die heutige Zeit braucht mutige und demokratisch engagierte Unternehmer wie Reinhold Würth.» Ein konstruktiver Dialog und gegenseitiger Respekt seien aber entscheidend für das Wohl der Beschäftigten und den langfristigen Erfolg des Unternehmens. «Das gilt auch für Würth.»
Generationenwechsel im Schrauben-Imperium
Vor über 30 Jahren hat Würth das Tagesgeschäft verlassen. Zu dieser Zeit gehörte das Unternehmen bereits mehreren Stiftungen. Würth hatte oft miterlebt, wie andere Familienunternehmen im Erbgang litten oder zerfielen. Auch nach seinem Ausstieg überwachte der Patriarch weiterhin die Entwicklung seines Konzerns. Die Geschäftszahlen hatte er immer zur Hand. Besonders erfreute er sich darüber, dass im Jahr 2023 die Umsatzgrenze von 20 Milliarden Euro überschritten wurde. Derzeit kämpft der Konzern jedoch mit der Konjunkturkrise. Für das Jahr 2024 erwartete Würth einen Rückgang des Umsatzes und einen Gewinneinbruch.
Ganz weg war Würth ohnehin nie: Als Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats war er an den wichtigen strategischen Weichenstellungen beteiligt. Erst kürzlich – nach mehr als 75 Arbeitsjahren – zog der Familienunternehmer auch hier einen Schlussstrich: Seit Jahresbeginn hat die Enkelgeneration das Sagen. Das Wort des «alten» Würth dürfte zwar weiterhin Gewicht haben in Künzelsau. Groß einmischen wolle er sich aber nicht: «Ich quatsche aus dem Hintergrund vielleicht schon noch ein bisschen rein. Aber ich werde mich zurückhalten».
Würth machte sich zuletzt keine Sorgen um die Zukunft des Konzerns. Er sagte, dass er es nun privat ruhiger angehen lassen und viel mehr privat tun wolle. Seinen Geburtstag werde er laut einer Sprecherin im Familienkreis feiern. Ende April soll es auch einen Festakt in Künzelsau geben. Es ist gut möglich, dass Reinhold Würth seine Gedanken danach in seinem Tagebuch festhält. So wie er es in seinem Leben schon oft getan hat.