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Russlands Luftfahrt ohne West-Technik unter Druck

Wenige Wirtschaftszweige sind international so vernetzt wie die Verkehrsfliegerei. Das macht sich der Westen bei den Sanktionen gegen den Aggressor Russland zunutze.

Aeroflot-Passagierflugzeuge stehen auf dem Flughafen Scheremetjewo außerhalb von Moskau.
Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa

Die westlichen Sanktionen im zivilen Luftverkehr setzen Russland immer stärker unter Druck.

Nachdem bereits die westlichen Lufträume für Aeroflot und andere russische Gesellschaften gesperrt sind, könnte bald auch der Inlandsverkehr in dem Riesenland mit elf Zeitzonen empfindlich gestört werden. Es fehlt nicht nur an westlicher Technik, sondern auch an Kapital und internationalen Zulassungen. Präsident Wladimir Putin versucht, mit eigenen Alternativstrukturen zumindest den Inlandsverkehr zu sichern.

Ohne Technik aus dem Westen sähe Russlands aktuelle Zivilflotte ziemlich alt aus. Rund 90 Prozent der Passagier- und Frachtmaschinen russischer Airlines wie Aeroflot und S7 stammten von Airbus und Boeing, sagt Steven Udvar-Hazy, Chef des Flugzeugfinanzierers ALC. Die alten Antonows, Iljuschins und Tupolews aus der Sowjetzeit sind längst ausgeflottet und wären heutzutage auch nicht mehr konkurrenzfähig.

Meiste Jets geleast

Die meisten Jets sind zudem geleast – und gehören in der Masse Flugzeugfinanzierern außerhalb Russlands. Diese fürchten jetzt um ihr Eigentum, weil nach den EU-Sanktionen die Verträge zum 28. März beendet werden müssen und sie nicht an die Flugzeuge herankommen. Nach Angaben der Luftfahrtberatung IBA befanden sich am 10. März noch 523 Maschinen ausländischer Flugzeugfinanzierer in Russland. Größte Kundin ist demnach die russische Gesellschaft S7 Airlines mit 101 Maschinen, gefolgt von Aeroflot mit 89 Jets. Die Analysefirma Ishka schätzt den Gesamtwert aller aus dem Ausland nach Russland verleasten Maschinen auf 10,3 Milliarden US-Dollar.

Putin hat am Montag die Voraussetzungen geschaffen, dieses wertvolle Faustpfand vorerst im eigenen Land weiterbetreiben zu können. Nachdem die Luftaufsichtsbehörde der Karibikinsel Bermuda allen dort registrierten russischen Flugzeugen die Lufttüchtigkeit aberkannt hat, schafft der Kreml eine eigene Lizensierungsmöglichkeit, wie die Agentur Tass am Montag meldete. In dem britischen Überseegebiet waren aus steuerlichen Gründen viele Flugzeuge russischer Gesellschaften zugelassen, erkennbar an den Abkürzungen VP-B und VP-Q.

Legaler Bezug nicht mehr möglich

Mittelfristig könnte die regelmäßige Wartung der Jets zum Problem werden, die zu Friedenszeiten Aufgabe hoch spezialisierter und international zertifizierter Dienstleister ist. Der Weltmarktführer Lufthansa Technik hat nach eigenen Angaben vor Putins Angriff auf die Ukraine rund 400 Jets im Auftrag von rund einem Dutzend russischer Airlines gewartet und sich nach Sanktionsstart zurückgezogen. In den russischen Niederlassungen steht noch einiges Material, das für einige Wochen Betrieb reichen könnte. In der vergangenen Woche hatte eine russische Airline sogar noch eine Lastwagenladung Material zurückgeschickt, wie ein Sprecher in Hamburg bestätigte.

Wenn nun aber weitere Teile benötigt werden, ist ein legaler Bezug für die Russen nicht möglich. «Natürlich könnten sie Wartungsintervalle verschleppen, improvisieren und Flugzeuge ’schlachten‘, um an Ersatzteile zu kommen», sagt ein Insider. Sicher der Albtraum der Luftsicherheitsbehörden, aber Iran hat über dreieinhalb Jahrzehnte US-Sanktionen überbrückt – um den Preis einer ständig schrumpfenden Flotte, die zudem aus Sicherheitsgründen kaum noch irgendwo landen durfte.

Technik aus dem Westen

Russlands einst stolze Luftfahrtindustrie war nach dem Ende der Sowjetunion nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Zwar entwickelten die Hersteller unter dem Dach der Luftfahrt-Holding OAK zwei Passagierjet-Typen für die Kurz- und Mittelstrecke. Doch der Suchoi Superjet 100 machte vor allem mit Pannen und Problemen Schlagzeilen und erwies sich international als Flop. Und beim Mittelstreckenjet MS-21, der dem Airbus A320neo und der Boeing 737 Max Konkurrenz machen soll, verzögerten sich Entwicklung und Zulassung um Jahre.

Dabei steckt in den Maschinen an vielen Stellen die Technik westlicher Zulieferer. So steuert der französische Triebwerksbauer Safran wesentliche Teile des Superjet-Antriebs bei. Und die MS-21 verdankt ihren Schub dem Getriebefan-Antrieb der Hersteller Pratt & Whitney aus den USA und MTU aus Deutschland. Gäbe es für sie keine russische Alternative, würden die jetzigen Sanktionen dem Flugzeugtyp den Garaus machen. Allerdings haben die Russen inzwischen ein eigenes Triebwerk für die MS-21 entwickelt. Und auch der Superjet soll einen russischen Antrieb bekommen. Mit den Folgen von Sanktionen kennt sich Russlands Luftfahrtindustrie aus: Seit 2019 durfte sie aus den USA und Japan keine Verbundwerkstoffe für die MS-21 mehr importieren – und baute deshalb eine eigene Produktion auf.

dpa