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Deutsche Stahlindustrie in der Krise: "Stahlgipfel" im Kanzleramt soll helfen

Wie kann die Politik der Stahlindustrie in Deutschland helfen und gleichzeitig klimafreundlicher werden? Ministerpräsidenten, Unternehmen und Vertreter diskutieren Lösungen.

Bei einem «Stahlgipfel» im Bundeskanzleramt wollen Politik und Wirtschaft über die Zukunft der deutschen Stahlindustrie sprechen. (Archivbild)
Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die deutsche Stahlindustrie ist in Bedrängnis – ein «Stahlgipfel» im Kanzleramt soll helfen: Was kann die Politik tun, damit die Unternehmen auch in Zukunft in Deutschland mit Stahl Geld verdienen können? Wie kann die Stahlproduktion gleichzeitig klimafreundlicher werden? Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Stahlindustrie, Vertreter von Unternehmen und Arbeitnehmern sowie Kabinettskollegen zu einem Austausch darüber eingeladen.

Was ist geplant?

Vor einem Monat fand der «Autogipfel» statt, nun geht es um eine weitere Krisenbranche. Die Besetzung zeigt, wie wichtig der «Stahlgipfel» für die Bundesregierung ist: neben Merz dabei sind unter anderem Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sowie Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Es soll keine Showveranstaltung werden – ein Regierungssprecher sprach von einem «Wegbereitungsgipfel»: Das Treffen solle den Weg bereiten für Schritte, um die Branche zu stärken und Arbeitsplätze zu schützen.

Der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) sagte: «Der Stahlgipfel darf kein Stuhlkreis werden.» Man brauche einen «wirksamen Stahlpakt für fairen Handel und mit Schutzmaßnahmen, für bezahlbare Energie und mit Leitmärkten für grünen Stahl». Die Länder Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Saarland verfassten ein Positionspapier mit verschiedenen Forderungen, etwa zu niedrigeren Energiepreisen und wirksamen Schutzmaßnahmen für deutsche Hersteller.

Welche Rolle spielt die Stahlindustrie in Deutschland?

Eine wichtige Rolle spielt Stahl, da er für zahlreiche Produkte benötigt wird. Dies betrifft beispielsweise den Automobilbau, die Bauindustrie und den Maschinenbau. Auch Haushaltsgeräte sind darauf angewiesen. Stahl ist vielfältig: Die Unternehmen bieten über 2.500 Stahlsorten an – für Drähte, Bleche, Stangen, Rohre oder Schienen.

Etwa 80.000 Personen sind unmittelbar in der stahlerzeugenden Industrie tätig. Zu den großen Unternehmen gehören Thyssenkrupp Steel, Salzgitter, ArcelorMittal, Dillinger und Saarstahl. Laut Branchenverband Wirtschaftsvereinigung Stahl arbeiten in der nächsten Stufe der Wertschöpfungskette rund vier Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen.

Im Jahr 2024 wurden in Deutschland rund 37 Millionen Tonnen Rohstahl hergestellt. Dies war das dritte Jahr in Folge, in dem die Menge unter der 40-Millionen-Marke lag, ab der die Branche von einer Rezession spricht. Der Großteil des Stahls wird in Duisburg produziert.

Deutschland ist in Europa der größte Rohstahlproduzent. Im Jahr 2024 wurden hierzulande mehr als ein Viertel der EU-Produktion (knapp 130 Millionen Tonnen) hergestellt. Weltweit rangiert deutscher Stahl mengenmäßig an siebter Stelle. China belegt 2024 mit großem Abstand den Spitzenplatz mit 1.005 Millionen Tonnen vor Indien (149 Millionen Tonnen).

Was sind die drängendsten Probleme?

Die Branche klagt über unfaire Wettbewerbsbedingungen. «Massiv zunehmende und oft unfair subventionierte Importe drängen auf den EU-Markt», heißt es beim Branchenverband. Jede dritte in der EU eingesetzte Tonne Stahl komme inzwischen aus Drittstaaten. Zum anderen machen hohe Energiepreise den Firmen schwer zu schaffen. Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren auch die Konjunkturschwäche ausgewirkt. Seit 2017 ist laut Branchenverband das Marktvolumen um rund ein Drittel gesunken. Hinzu kommen Milliarden-Kosten für die Umstellung der Produktionsverfahren Richtung Klimaneutralität.

Warum soll die Stahlherstellung klimafreundlicher werden?

Die Stahlindustrie stößt extrem viel klimaschädliches Kohlendioxid aus, was etwa sieben Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland ausmacht. Hauptsächlich verantwortlich dafür ist die klassische Roheisenerzeugung in Hochöfen, die viel Kohlenstoff in Form von Koks benötigt, um Hitze zu erzeugen und dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen, was als Reduktion bezeichnet wird. Aktuell stammen etwa 70 Prozent des Roheisens aus Hochöfen, während die restlichen 30 Prozent durch das Einschmelzen von Schrott in großen, elektrisch betriebenen Öfen gewonnen werden.

Kann man Stahl auch klimafreundlicher herstellen?

Ja. Insbesondere durch die Verwendung eines Verfahrens, bei dem anstelle von Kohle und Koks vorzugsweise umweltfreundlich hergestellter Wasserstoff verwendet wird. Anstatt Kohlendioxid entsteht Wasser als Abfallprodukt. Die Anlagen werden nicht Hochöfen genannt, sondern Direktreduktionsanlagen.

Herausforderung: Es wird eine große Menge Wasserstoff benötigt, die jedoch noch nicht verfügbar ist. Daher sollen vorübergehend neue Anlagen mit Erdgas betrieben werden, wie es ArcelorMittal bereits seit Langem in einer Anlage in Hamburg praktiziert. Der Bau neuer Anlagen, die mit staatlichen Milliardenhilfen gefördert werden, ist in Duisburg und Salzgitter geplant. Die verstärkte Nutzung von Wind- und Sonnenenergie in den Elektroöfen trägt ebenfalls dazu bei, den Treibhausgasausstoß zu reduzieren.

Was kann die Politik tun?

Die Bundesregierung plant, die Branche zu unterstützen – auch, weil Deutschland ohne eine eigenständige Stahlindustrie abhängig von Ländern wie China wäre. Laut Wirtschaftsministerin Reiche soll die sogenannte Strompreiskompensation über das Jahr 2030 hinaus verlängert werden. Dadurch werden Unternehmen indirekt von den Kosten des CO2-Emissionshandels entlastet.

Des Weiteren ist geplant, ab dem 1. Januar 2026 einen Industriestrompreis einzuführen. Mithilfe staatlicher Subventionen soll der Strompreis für energieintensive Unternehmen deutlich reduziert werden. Nach den Vorgaben der EU ist es derzeit praktisch nicht möglich, dass Unternehmen sowohl von der Strompreiskompensation als auch vom Industriestrompreis profitieren. Die Bundesregierung könnte sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, eine Änderung herbeizuführen.

Bereits beschlossen sind zudem Entlastungen bei den Strom-Netzentgelten 2026 – wobei die Stahlbranche auf eine dauerhafte Senkung pocht. Mehr Flexibilität könnte es beim Einsatz von Wasserstoff geben. Angestrebt wird eigentlich «grüner» Wasserstoff, der auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt wird. Dieser ist aber noch sehr teuer und nicht im ausreichenden Maß vorhanden. Deswegen könnte zunächst «blauer» Wasserstoff zum Einsatz kommen, der aus Erdgas hergestellt wird.

Die Bundesregierung kann viele wichtige Maßnahmen nicht eigenständig beschließen, da sie auf EU-Ebene entschieden werden. Dies betrifft insbesondere die Handelspolitik.

Höhere Zölle zum Schutz der EU-Stahlindustrie im Gespräch

Die EU-Kommission schlägt vor, die heimische Stahlindustrie vor billiger Konkurrenz aus Ländern wie China zu schützen, indem sie die Zölle deutlich erhöht. Gleichzeitig soll die Menge für zollfreie Importe fast halbiert werden. Konkret wird der Zollsatz für Importe, die darüber hinausgehen, auf 50 Prozent verdoppelt. Dies könnte die schwierigen Verhandlungen mit den USA beeinflussen, die für Stahl und Aluminium Importzölle von 50 Prozent verhängen.

Finanzminister Klingbeil hat außerdem gefordert, dass alle Stahlimporte aus Russland vollständig eingestellt werden. Es gibt immer noch Stahlbrammen, die in Russland hergestellt und in der EU weiterverarbeitet werden, die von Sanktionen ausgenommen sind.

Branchenvertreterin hofft auf konkrete Ergebnisse des Stahlgipfels

Die Chefin von Deutschlands größtem Stahlhersteller, Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), Marie Jaroni, macht sich für Zölle auf Stahlimporte aus China und staatliche Hilfe beim Strompreis stark. Zudem spricht sich die Managerin für Quoten bei Investitionen des Staates aus. «Die Milliarden, die er über das Infrastrukturpaket investiert, sollten mit der Anforderung verknüpft werden, dass dabei vor allem Stahl aus der EU genutzt wird», sagte Jaroni der «Rheinischen Post». «Es kann doch nicht sein, dass die deutschen Steuermilliarden am Ende vor allem bei Herstellern aus Asien landen.»

dpa