Kommen Arbeitgeber und Beschäftigte am Verhandlungstisch nicht weiter, rufen Gewerkschaften oft zum Streik auf. 2024 gab es laut einer Studie 286 Arbeitskämpfe. Nicht immer waren sie erfolgreich.
Studie: Fast eine Million Streiktage in Deutschland
Die Anzahl der Streiks in Deutschland im vergangenen Jahr war etwas geringer als 2023. Laut der neuen Arbeitskampfbilanz des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gab es insgesamt 286 Arbeitskämpfe, was 26 weniger sind als im Vorjahr.
Laut der Studie wurden viele Arbeitskämpfe nach einer Phase hoher Inflation geführt, um höhere Löhne zu erreichen. Häufig standen auch die Arbeitsbedingungen im Fokus. Meistens handelte es sich um Warnstreiks. Unbefristete Erzwingungsstreiks mit vorheriger Urabstimmung seien in Deutschland schon seit geraumer Zeit die Ausnahme, so das WSI.
WSI-Studie: 946.000 Arbeitstage fielen aus
Laut der Studie haben im vergangenen Jahr rund 912.000 Personen an Streiks teilgenommen, das seien 55.000 mehr als im Vorjahr. «Allerdings lag die Zahl der arbeitskampfbedingt ausgefallenen Arbeitstage mit 946.000 deutlich unter dem Vorjahreswert von rund 1,5 Millionen», schreiben die Autoren. Grund sei, dass die Streiks 2024 im Schnitt deutlich kürzer als 2023 waren. «Vor allem breite Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie führten zu Arbeitsniederlegungen mit vielen Teilnehmenden, aber überschaubarer Dauer.» Viele Beteiligte gab es auch bei VW und im kommunalen Nahverkehr.
Die meisten Arbeitskämpfe fanden nicht im Rahmen von Flächentarifverhandlungen statt, sondern auf Haus-, Firmen- oder Konzernebene. Laut WSI liegt der Grund darin, dass sich in den letzten Jahren viele Unternehmen aus Flächentarifverträgen zurückgezogen haben. Als Reaktion darauf haben die Gewerkschaften versucht, Haustarifverträge abzuschließen.
International liegt Deutschland weiterhin im Mittelfeld
«Im internationalen Vergleich ist Deutschland weiterhin ein Land mit relativ wenigen Streiktagen», betonten die Forscher. So liege Deutschland in der internationalen Streikstatistik weiterhin im Mittelfeld. Zwischen 2014 und 2023 seien aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen im Jahresschnitt rund 21 Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte ausgefallen. Auch in den Niederlanden lag der Schnitt bei 21 Tagen, in den USA bei 20.
Laut der Auswertung hat Kanada das höchste Arbeitskampfvolumen, mit durchschnittlich 108 Ausfalltagen pro Jahr und 1.000 Beschäftigten. Danach kommen Belgien (107 Tage), Frankreich (102 Tage nur im Privatsektor), Finnland (93 Tage) und Zypern (72 Tage).
Nicht jeder Streik endet für die Gewerkschaften erfolgreich
Aus Sicht der Gewerkschaften endeten die Streiks nicht immer erfolgreich. So habe etwa der Kampf um einen Tarifvertrag bei der Schrott- und Recyclingfirma SRW Metalfloat im Frühjahr 2024 nach 180 Tagen Streik sowie einer anschließenden Aussperrung erfolglos beendet werden müssen. Auch die Auseinandersetzungen bei den Onlinehändlern Amazon oder Zalando zögen sich seit Jahren hin. «Auch hier haben Arbeitsniederlegungen bisher keinen Durchbruch gebracht», stellen die Studienautoren fest.
Laut WSI versuchen Arbeitgeber häufiger, Streiks nicht durch Verhandlungen, sondern durch Anrufung von Gerichten abzuwehren. «Dafür beauftragen Unternehmen häufig spezialisierte Großkanzleien, was auf der Seite der Gewerkschaften Ressourcen bindet und den Einsatz des Druckmittels Streik in manchen Fällen riskant macht», hieß es. Denn durch das in vieler Hinsicht nicht detailliert ausbuchstabierte deutsche Streikrecht bestehe die Gefahr, dass ein Streik für unzulässig erklärt werde und die Arbeitgeber hohen Schadenersatz forderten.
Institut der deutschen Wirtschaft sieht «hohe Konfliktbereitschaft»
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hatte im Februar in einer Analyse für 2024 eine «hohe Konfliktbereitschaft» festgestellt. Die Ursache dafür sehen die IW-Forscher in hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften in einem durch Stagnation geprägten wirtschaftlichen Umfeld. Die höchste Konfliktintensität habe es im Einzelhandel und im Groß- und Außenhandel gegeben. An dritter Stelle folgte die Tarifrunde zwischen Deutscher Bahn und GDL. Konfliktreich sei es auch bei den Fluggesellschaften zugegangen.
Konfliktreichen Tarifrunden standen eine Reihe «friedlicher» Runden gegenüber, so das IW. So hätten die Verhandlungen in der chemischen Industrie erneut kooperativ beigelegt werden können. Vergleichsweise friedlich seien auch die Verhandlungen in der Papiererzeugung und im bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbe verlaufen.