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Medizinische Versorgung im Supermarkt: Neues Konzept gegen Ärztemangel

Im Supermarkt können Patienten per Videosprechstunde mit Ärzten sprechen und medizinische Hilfe erhalten, um lange Wartezeiten zu umgehen.

Wird das Pilotprojekt ein Erfolg, könnten weitere Standorte folgen.
Foto: Marijan Murat/dpa

Zwischen der Käsetheke, der Bäckerei, dem Pfandautomaten und der Kassenzone liegt im nordwürttembergischen Mosbach möglicherweise die Lösung für den großen Mangel an Hausärzten auf dem Land. Denn in einem großen Supermarkt kann der Arzt direkt nach dem Einkauf um Rat gefragt werden – ein bundesweites Novum bislang, wie die Anbieter versichern. Telemedizin in der Vorkassenzone? Warum nicht, sagen die Anbieter. Und der Bedarf ist groß.

Mosbach ist ein herausragendes Beispiel für den Ärztemangel. In dieser Region und vielen anderen Teilen des Landes müssen Patienten oft lange auf Termine beim Haus- oder Facharzt warten. Laut Branchenverband fehlen allein in Baden-Württemberg etwa 1.000 Hausärztinnen und -ärzte. Zwei von drei praktizierenden Hausärzten sind über 60 Jahre alt und suchen dringend nach Nachfolgern.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sind bundesweit bereits mehr als 5.000 Hausarztsitze unbesetzt – und die Anzahl steigt schnell an. Dies führt zu längeren Wartezeiten für Termine, da überlastete Praxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen.

Der Arzt kommt zum Patienten

Die Supermarktkette Kaufland und der private Klinikbetreiber Sana planen, einen Teil dieser Lücke mit einem Modellprojekt zu schließen. Ihr Konzept sieht vor, dass der Arzt zum Patienten kommt, wenn dieser keinen Arzt mehr findet.

So werden im Mosbacher «S Medical Room» Videosprechstunden mit Ärzten angeboten. Eingecheckt wird in der Regel über das Smartphone, danach können sich Patienten in einem kleinen schalldichten Raum per Video mit dem Arzt unterhalten und auch Rezepte bekommen. Zudem betreuen medizinische Fachangestellte die gesetzlich und privat Versicherten vor Ort, sie messen den Blutdruck oder machen ein EKG.

«Voraussetzung ist, dass die Beschwerden telemedizinisch beurteilt werden können», betont Jonas Ehmig, der Co-Geschäftsführer des Medical Rooms. Husten gehöre dazu, Schnupfen und Heiserkeit, Krankheiten also, bei denen der Arzt nur einmal checken sollte, um ein rezeptfreies Medikament zu empfehlen. «Neupatienten erhalten hingegen zum Beispiel keine Medikamente gegen hohen Blutdruck und kein Antibiotikum gegen einen starken Infekt», sagt Ehmig. «Dafür braucht es den direkten Kontakt.» Auch diesen könne das Mosbacher Angebot nach einer ersten Einschätzung herstellen.

Zeichen gegen Ärztemangel – und für neue Kunden

Der Bereich im Supermarkt ist ein Ableger des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Neckarsulm. Die Unternehmen der Schwarz Gruppe, zu der auch Kaufland gehört, vermieten Sana die Immobilie und modernste Medizintechnik.

Ein Pilotprojekt für weitere Standorte? Das lassen Sana und Kaufland noch offen. «Wenn der Pilot erfolgreich wird, sind wir offen dafür, das Konzept bundesweit an weiteren Standorten zu integrieren», sagt René Wolf, der Leiter Vermietung bei Kaufland. Ziel sei es, ein Zeichen zu setzen gegen den Ärztemangel. Und zumindest inoffiziell hofft die Kette sicher auch auf den einen oder den anderen Kunden. 

Hausärzte vorsichtig optimistisch

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg betrachtet das Mosbacher Projekt als sinnvolle Ergänzung für Regionen, in denen die medizinische Versorgung knapp wird. Menschen könnten so einfacher ärztliche Hilfe erhalten. Allerdings betont die Landesvorsitzende Susanne Bublitz, Hausärztin in Pfedelbach (Hohenlohekreis), auch gewisse Einschränkungen. Neue Angebote müssen unbedingt mit den Hausarztpraxen verbunden sein, sagt sie.

«Gute Versorgung gelingt immer dann, wenn sie kontinuierlich ist», ergänzt Bublitz. «Das heißt, wenn in der Hausarztpraxis alle Fäden zusammenlaufen und die Versorgung koordiniert wird. Zusätzliche Anlaufstellen allein führen nicht zu einer besseren Versorgung.» 

Wenn man in Mosbach mit einem Versorgungszentrum oder einer Praxis in der Nähe zusammenarbeitet, kann dies insbesondere älteren Menschen helfen, selbstständig zu bleiben und den Zugang zur medizinischen Versorgung deutlich zu erleichtern.

Handel probiert aus 

Der Mosbacher «Medical Room» ist nicht der einzige Versuch eines branchenfremden Unternehmens, sich mit medizinischen Zusatzangeboten weitere Kundschaft zu erschließen. Zuletzt hatte die Drogeriemarktkette dm mit Sitz in Karlsruhe angekündigt, über eine tschechische Tochter apothekenpflichtige, aber rezeptfreie Ware verkaufen zu wollen. In einigen Filialen der größten Drogeriekette Deutschlands werden bereits Gesundheitschecks angeboten – als Alternative zu teils monatelangen Wartezeiten auf einen Termin beim Arzt.

Auch bei Lidl und Rossmann werden die Vorbereitungen für den Einstieg in den Markt mit rezeptfreien Präparaten, frei verkäuflichen Arzneimitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und anderen Produkten getroffen.

dpa