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Überschuldung in Deutschland steigt wieder an

Creditreform meldet Anstieg von 111.000 überschuldeten Menschen im Vergleich zum Vorjahr.

Überschuldet ist, wer seinen finanziellen Verpflichtungen dauerhaft nicht mehr nachkommen kann.
Foto: Hannes P Albert/dpa

«Angst-Sparen» dämpfte Experten zufolge im vergangenen Jahr die Überschuldung in Deutschland. Inzwischen zeigt dieser Effekt offenbar keine Wirkung mehr. Die Zahl der überschuldeten Menschen steigt erstmals seit 2018 wieder. Das geht aus dem neuen «Schuldneratlas» der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor. Wie ist das zu erklären? Die wichtigsten Fragen und Antworten: 

Wie viele Menschen in Deutschland sind überschuldet? 

Laut Creditreform sind in Deutschland aktuell 5,67 Millionen Menschen ab 18 Jahren überschuldet – rund 111.000 oder zwei Prozent mehr als im Vorjahr. So viele neue Fälle gab es zuletzt 2016. «Nach Jahren multipler Krisen – Pandemie, Energiepreise, Inflation – sind Ersparnisse und Reserven vieler Verbraucher aufgezehrt», sagt Creditreform-Experte Patrik-Ludwig Hantzsch. Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen, erhöhte sich von 8,09 auf 8,16 Prozent. 

Verschuldet ist, wer Kredite noch bedienen kann. Überschuldet ist, wer seinen finanziellen Verpflichtungen dauerhaft nicht mehr nachkommen kann. Die Experten unterscheiden zwischen «harten», juristisch relevanten Fällen (Vollstreckungen, Inkasso, Haftbefehle) und «weichen» (anhaltende Zahlungsstörungen). Beide nahmen zuletzt zu. Es gibt mehr als drei Millionen harte Fälle. 

Hantzsch erwartet, dass sich der Trend 2026 fortsetzt. Steigende Zinsen, hohe Lebenshaltungskosten und ein schwacher Arbeitsmarkt dürften die Situation verschärfen. In den vergangenen Jahren war die Überschuldung zurückgegangen. Noch bis 2020 waren knapp sieben Millionen Menschen betroffen. Für seinen «Schuldneratlas» wertet Creditreform anonymisierte Daten anhand amtlicher Register, von Online-Händlern und weiteren Quellen aus. 

Wer ist besonders betroffen? 

Der Trend betrifft inzwischen fast alle Einkommensgruppen. «Wir sehen mittlerweile viele, die eigentlich gut situiert sind, aber ihre finanzielle Belastbarkeit überschätzt haben», sagt Hantzsch. Eine überdurchschnittlich starke Zunahme wird bei jungen Menschen unter 30 Jahren und bei Älteren über 60 beobachtet. Jüngere geraten durch Konsum, Kredite und Onlinekäufe ins Straucheln, Ältere leiden unter steigenden Lebenshaltungskosten und niedrigen Renten. Männer sind häufiger überschuldet als Frauen. 

Laut Statistischem Bundesamt suchten im Jahr 2024 Singles häufiger Hilfe bei Schuldnerberatungsstellen als andere Bevölkerungsgruppen. Über die Hälfte der Ratsuchenden (51,2 Prozent) lebte allein in einem Haushalt. Am meisten nahmen Menschen im Alter von 35 bis 45 Jahren eine Schuldnerberatung in Anspruch. Diese Altersgruppe machte etwa ein Viertel der Fälle aus. Die durchschnittlichen Verbindlichkeiten betrugen bei den unter 25-Jährigen rund 11.000 Euro und bei Personen ab 65 Jahren etwa 47.000 Euro.

Was sind die Ursachen für Überschuldung? 

Mit 17,6 Prozent beruhen die meisten Fälle auf gesundheitlichen Problemen, wie der «Überschuldungsreport 2025» des Instituts für Finanzdienstleistungen zeigt. Auch Arbeitslosigkeit oder reduzierte Erwerbsarbeit sind oft Auslöser (15,3 Prozent), gefolgt von Scheidung oder Trennung (9,1 Prozent). Überschuldung entsteht demnach selten durch individuelles Fehlverhalten, sondern überwiegend durch Lebenskrisen wie Krankheit, Trennung oder Arbeitslosigkeit. 

Was können überschuldete Verbraucher tun? 

Auf www.meine-schulden.de können Betroffene Beratungsstellen und Informationen zur Selbsthilfe finden. Allerdings sind viele dieser Stellen überlastet und die Wartezeiten oft lang – teilweise mehr als ein Jahr. Jährlich nehmen rund 577.000 Menschen in Deutschland Schuldnerberatung in Anspruch. Die Zahl der Überschuldeten liegt etwa zehnmal so hoch. Immerhin gibt es in einigen Regionen Notfallsprechstunden für besonders akute Fälle.

«Die Telefone in den Beratungsstellen klingeln pausenlos, wir müssen immer mehr Menschen wegschicken», sagt Ines Moers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. Hinzu komme ein Mangel an Fachkräften. Der Verband fordert mehr finanzielle Mittel und einen Personalschlüssel von zwei Beratenden pro 50.000 Einwohner. 

Am Freitag stimmt der Bundestag über einen Gesetzesentwurf für ein Schuldnerberatungsdienstegesetz ab. Das Gesetz soll sicherstellen, dass Verbraucher mit finanziellen Problemen Zugang zu Beratungen haben.

Was wird aus Menschen, die überschuldet sind? 

Im Jahr 2024 wurde in 16 Prozent der abgeschlossenen Fälle von Schuldnerberatungen eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern erzielt, wie Statistiken des Statistischen Bundesamtes zeigen. Fast die Hälfte der Ratsuchenden beantragte eine Verbraucherinsolvenz. Gut 5 Prozent stellten als ehemals Selbstständige oder Unternehmen einen Antrag auf Regelinsolvenz. In den restlichen Fällen gab es andere Gründe – wie beispielsweise den Abbruch der Beratung oder die Weitervermittlung an andere Einrichtungen. Laut Creditreform stieg die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im ersten Halbjahr um 6,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Worauf müssen Verbraucher achten?

Verbraucherschützer fordern besseren Schutz vor «Buy now, pay later»-Krediten. Dabei zahlen Online-Käufer später oder in Raten. Die Verbraucherzentrale warnt davor, dass Verbraucher oft mehr auf Pump kaufen, als sie sich leisten können. 

Ab dem 20. November gelten strengere Regeln: Klein- und Kurzzeitkredite bis 200 Euro müssen strenger geprüft werden: Dann muss bei der Vergabe von Minikrediten und «Buy now, pay later»-Angeboten auch bei kleineren Beträgen eine Kreditwürdigkeitsprüfung durchgeführt werden. Wer sich Geld bei der Bank leiht, soll verständlicher informiert werden, welche Kosten dabei entstehen. 

Im Jahr 2024 verzeichnete die Schufa erstmals über zehn Millionen neue Ratenkredite, wobei fast die Hälfte Kleinkredite unter 1.000 Euro waren. In der Regel werden Ratenkredite ordnungsgemäß bedient, nur 1,9 Prozent hatten Zahlungsschwierigkeiten.

dpa