Verhandlung über 750 Millionen Euro Schadenersatz für 8.500 Anleger wegen vorsätzlich falscher Informationen.
Wirecard-Pleite: Musterklage vor Bayerischem Obersten Landesgericht
Viereinhalb Jahre nach dem Wirecard-Desaster wird am Freitag am Bayerischen Obersten Landesgericht im Namen einer Lawine von Schadenersatzforderungen die Musterklage eines hessischen Aktionärs verhandelt. Das Musterverfahren repräsentiert insgesamt 8.500 Klagen von Investoren des Finanzdienstleisters. Gemeinsam fordern sie 750 Millionen Euro Entschädigung für ihre Verluste. Aufgrund des erwarteten großen Interesses hat der 1. Zivilsenat des höchsten bayerischen Gerichts die Verhandlung in die Wappenhalle des ehemaligen Flughafens München-Riem verlegt, die normalerweise für Konferenzen oder Feiern genutzt wird.
Ex-Konzernchef Braun verarmt – Zielscheibe Wirtschaftsprüfer
Der ehemalige Wirecard-Vorstandsvorsitzende Markus Braun steht an erster Stelle einer Liste von insgesamt elf Beklagten, gefolgt von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Letztere ist das eigentliche Ziel der Schadenersatzforderungen. Denn Braun hatte den Großteil seines Vermögens in Wirecard-Aktien investiert. Daher erlitt Braun selbst enorme Verluste durch den Zusammenbruch von Wirecard. Von Anfang an hat Braun alle Anschuldigungen bestritten, während EY die Schadensersatzklagen als unbegründet zurückweist.
Anleger sehen sich durch falsche Informationen zum Kauf der Aktien verleitet
Geschädigte Anleger haben die Möglichkeit auf Entschädigung zu hoffen, wenn sie die jeweiligen Aktien aufgrund vorsätzlich falscher Informationen erworben haben. Im Fall von Wirecard handelte es sich um die vermeintlich erfundenen Gewinne in den Bilanzen des Unternehmens – mehrmals bestätigt von den Abschlussprüfern von EY. Erst im Jahr 2020 verweigerten die Prüfer das Testat für die Bilanz von Wirecard aus dem Vorjahr.
Münchner Zivilgerichte kämpfen mit Wirecard-Lawine
Das zivilrechtliche Musterverfahren läuft parallel zum Wirecard-Strafprozess, in dem Braun seit knapp zwei Jahren als Hauptangeklagter unter Betrugsverdacht vor Gericht steht. Das Musterverfahren soll die rechtliche Aufarbeitung der Schadenersatzforderungen erleichtern und beschleunigen. Solange das Musterverfahren läuft, ruhen die übrigen Klagen. Andernfalls müssten alle 8.500 Klagen vom Landgericht München I einzeln verhandelt und entschieden werden.
Das Urteil im Musterprozess wird jedoch nicht automatisch über alle 8.500 Klagen entscheiden, sondern als eine Art Vorlage für die übrigen Verfahren dienen. Neben den 8.500 Klägern haben auch 19.000 weitere Wirecard-Anleger Forderungen bei Gericht eingereicht.
Urteil frühestens in einigen Jahren
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Musterverfahren schnell abgeschlossen sein wird. Das Oberste Landesgericht erwartet aufgrund der Komplexität des Verfahrens eine mehrjährige Dauer, wie ein Sprecher sagte. Musterklägeranwalt Peter Mattil ist eher optimistisch und glaubt, dass ein Urteil in erster Instanz möglicherweise schon in drei Jahren fallen könnte.