Seit über zwei Jahren steht der frühere Wirecard-Chef Braun vor Gericht, seit über viereinhalb Jahren sitzt er in Untersuchungshaft. Nun ist das Urteil ein wenig näher gerückt.
Wirecard-Prozess wird abgekürzt
Der Wirecard-Prozess in München wird verkürzt, nachdem die Staatsanwaltschaft zugestimmt hat. Die Anklagebehörde folgt einem Vorschlag des Gerichts, das beschlossen hat, das Mammutverfahren auf die zehn wichtigsten Anklagepunkte zu beschränken. Es ist unklar, wann der Prozess enden wird. Ohne Verkürzung hätte ein Urteil frühestens 2026 erwartet werden können, wie die Kammer im Dezember betont hatte.
Braun kann nicht auf wesentlich niedrigere Strafe hoffen
Der ehemalige Wirecard-Vorstandsvorsitzende Markus Braun und seine beiden Mitangeklagten, die seit viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzen, haben keine Aussicht darauf, dass die zu erwartenden Strafen deshalb wesentlich geringer ausfallen könnten. Selbst wenn alle ursprünglichen Anklagepunkte verhandelt würden, wäre keine wesentliche Erhöhung der Gesamtstrafe zu erwarten, wie Oberstaatsanwalt Matthias Bühring am 177. Prozesstag erklärte.
Der Hauptvorwurf bleibt der Bandenbetrug. Braun und seine Mittäter sollen den kollabierten Dax-Konzern über Jahre mit Hilfe von erfundenen Profite über Wasser gehalten haben. Der Schaden für die kreditgebenden Banken wird in der Anklage auf gut drei Milliarden Euro geschätzt. Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I wird auch den Anklagevorwürfen der Untreue, falschen Information des Kapitalmarkts und der Fälschung der Konzernabschlüsse für die Jahre 2016, 2017 und 2018 nachgehen. Ursprünglich umfassten die Vorwürfe gegen Braun allein 43 verschiedene Punkte.
Verteidigung: Niemand ist an Aufklärung interessiert
Brauns Verteidigung warf Gericht und Staatsanwaltschaft vor, an echter Aufklärung nicht interessiert zu sein. «Das ist eine gewisse Vorverurteilung seitens des Gerichts», sagte Rechtsanwältin Theres Kraußlach. «Wir sind an einem Punkt, wo bisher nichts aufgeklärt ist, bis heute nicht.» Braun und seine Verteidigung beschuldigen ihrerseits den abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek, der Haupttäter zu sein. «Aus unserer Sicht gibt’s überhaupt nichts einzustellen, weil Herr Dr. Braun in alle Punkten freizusprechen ist», sagte die Verteidigerin.
Gutachter sieht halbe Milliarde Schaden schon 2018
Nach mehr als zwei Jahren Prozessdauer äußerte sich am Mittwoch erstmals der betriebswirtschaftliche Gutachter Wilhelm Hauser, der in einem 830-seitigen Papier die Höhe des Schadens berechnet hat – unter der Annahme, dass eine kriminelle Bande in der Wirecard-Chefetage tatsächlich Scheingeschäfte in großem Maßstab erfand. Demnach hatte das Unternehmen schon zwei Jahre vor der Insolvenz nicht genug Geld, um einen im Juni 2018 vereinbarten Konsortialkredit von 1,75 Milliarden Euro zurückzahlen zu können, wie der Ökonom im ersten Teil seines Gutachtens erklärte. Zu diesem Zeitpunkt schätzte der Betriebswirtschaftsprofessor den Vermögensschaden auf mindestens 522 Millionen Euro.