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Abnehmspritze Wegovy: Nutzen und Risiken von GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Eine systematische Analyse zeigt positive Effekte auf Herz-Kreislauf-Beschwerden, Suchterkrankungen und Demenz, aber auch erhöhte Risiken für Magen-Darm-Probleme und Gelenkentzündungen.

Spritzen der Marken „Wegovy“, „Ozempic“ und „Mounjaro“ sind auf dem Markt.(Archivbild)
Foto: Jens Kalaene/dpa

In einer systematischen Analyse haben Forscher die medizinischen Vor- und Nachteile von GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) untersucht, zu denen auch die Abnehmspritze Wegovy gehört. Sie sind in Deutschland für Diabetes 2 und viele Fälle von Übergewicht zugelassen. Es gibt viele Vorteile – aber auch einige Risiken.

Der Studie zufolge senken solche Präparate unter anderem die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz, Psychosen und Suchterkrankungen. Andererseits gehen sie mit erhöhten Risiken etwa für Magen-Darm-Probleme und Gelenkentzündungen einher, schreibt das Team um Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis im Fachblatt «Nature Medicine». 

«Diese großen Datensätze unterstreichen die positive Risiko-Nutzen-Bilanz dieser Präparate», sagt der Gastroenterologe Frank Tacke von der Berliner Charité, der nicht an der Studie beteiligt war. «Das ist vorerst beruhigend.» 

Riesige Nachfrage

Die Medikamente aus der noch recht neuen Wirkstoffklasse sind äußerst beliebt. Erst im Sommer wies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund der hohen Nachfrage auf vorübergehende Lieferengpässe hin.

Die Substanzen, die hauptsächlich einmal pro Woche injiziert werden, verlängern hauptsächlich die Verweildauer der Nahrung im Verdauungstrakt und erhöhen somit das Sättigungsgefühl. Es ist unbestritten, dass sie sowohl bei Diabetes Typ 2 als auch bei signifikantem Gewichtsverlust helfen. Darüber hinaus werden derzeit Studien durchgeführt, um ihren möglichen Nutzen bei zahlreichen weiteren Erkrankungen, einschließlich Parkinson und Alzheimer, zu untersuchen.

«Angesichts der Neuheit der Medikamente und ihrer in die Höhe schießenden Popularität ist es wichtig, die Auswirkungen auf alle Körpersysteme systematisch zu analysieren, um zu verstehen, was sie tun und was nicht», wird Hauptautor Al-Aly in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Ziel sei eine umfassende Kartierung der Verbindungen dieser Wirkstoffe zu sämtlichen Organsystemen.

Dazu wertete das Autorentrio eine Datenbank des US-Kriegsveteranenministeriums aus. Daraus verglich es rund 216.000 Menschen, die GLP1-Rezeptor-Agonisten gegen Diabetes 2 nahmen, mit gut 1,2 Millionen Veteranen, die andere Therapien gegen die Stoffwechselerkrankung nutzten. «Anhand so großer Datenmengen kann man auch seltene Nebenwirkungen ermitteln», sagt Tacke, der dem wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) angehört.

Risiko für 42 Gesundheitsprobleme gesunken, für 19 gestiegen

Das Team konzentrierte sich insgesamt auf 175 mögliche medizinische Auswirkungen. Die durchschnittliche Beobachtungsdauer betrug 3,7 Jahre.

Ergebnisse: Unter der GLP-1-RA-Therapie sank das Risiko für 42 gesundheitliche Probleme, während es für 19 andere stieg. Das Team fand positive Effekte auf Suchtprobleme – wie Alkohol, Opiate, Tabak oder Cannabis -, psychotische Störungen, Demenz wie Alzheimer, Blutgerinnungsstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Infektionskrankheiten und verschiedene Atemwegsprobleme – von Bronchitis über Lungenentzündung bis hin zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Die Effektstärke liegt meist bei einer Risikominderung von 10 bis 20 Prozent, was jedoch als eher mäßig angesehen wird.

«GLP-1-RA-Präparate wirken auf Rezeptoren in Gehirnarealen, die an Impulskontrolle, Belohnung und Sucht beteiligt sind», erläutert Al-Aly. «Das erklärt möglicherweise ihre Wirksamkeit beim Drosseln von Appetit und Suchterkrankungen.» Die möglicherweise verringerte Demenzgefahr erklärt er mit der entzündungshemmenden Wirkung im Gehirn. Das geringere Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – hierzulande die häufigste Todesursache – führt Tacke auf die Gewichtsreduktion und eine veränderte Lebensführung wie etwa mehr Bewegung zurück.

Lange Verweildauer der Nahrung im Darm

Die Untersuchung bestätigt auch Analysen, die besagen, dass GLP-1-RA-Präparate nicht mit suizidalen Gedanken und Selbstverletzungsgedanken in Verbindung stehen. Die Gruppe betont sogar, dass diese Gefahr reduziert ist und verweist auf potenzielle antidepressive Eigenschaften der Medikamente.

Die Gruppe nennt als Risiken unter anderem Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Sodbrennen, Gelenkentzündungen, Schlafstörungen oder Hypotonie, also zu niedrigen Blutdruck. Zudem könnte die Einnahme in seltenen Fällen entzündliche Prozesse in den Nieren und der Bauchspeicheldrüse fördern. Der deutsche Experte Tacke erklärt die häufigen Magen-Darm-Probleme mit der längeren Verweildauer der Nahrung im Verdauungstrakt.

Eventuell Blutdruckmittel anpassen

Das Autorentrio betont, die Erkenntnisse der Studie könnten generell dazu führen, neue medizinische Zusammenhänge systematisch zu erforschen. Gleichzeitig hätten sie schon jetzt Bedeutung für die medizinische Praxis. So sollte beim Einsatz der Präparate etwa der Blutdruck gut kontrolliert und bei Bedarf die Einnahme von Blutdrucksenkern angepasst werden. Auch auf andere mögliche negative Auswirkungen der Therapie sollte künftig verstärkt geachtet werden. «GLP-1-RA-Präparate können einen breiten gesundheitlichen Nutzen bieten», sagt Al-Aly. «Aber risikofrei sind sie nicht.» 

Trotz der insgesamt positiven Bilanz der GLP-1-RA-Präparate bleibt eine wichtige Frage noch offen. Laut Tacke ist die Beobachtungszeit von 3,7 Jahren zu kurz, um eine möglicherweise erhöhte Tumorgefahr zu bewerten. Bisher gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf ein solches Risiko.

dpa