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Fehlinformationen zu ADHS auf Tiktok verbreitet

Jugendliche mit selbstdiagnostizierter ADHS überschätzen die Verbreitung der Störung und werden durch die Videos in ihrer Annahme bestärkt.

Drei Hauptsymptome gibt es bei ADHS: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. (Symbolbild)
Foto: Sven Hoppe/dpa

Populäre Videos zu ADHS auf Tiktok enthalten einer Studie zufolge vielfach Fehlinformationen. Von den knapp 100 meistgesehenen Tiktok-Videos zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) enthielt etwa die Hälfte fehlerhafte Angaben, wie ein Forschungsteam im Fachjournal «PLOS One» berichtet. Gerade Jugendliche mit selbstdiagnostizierter ADHS überschätzen demnach die Verbreitung der Störung in der Bevölkerung deutlich – und werden durch die Videos in ihrer Annahme bestärkt, ADHS zu haben.

ADHS ist in der Regel mit einem gestörten Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn verbunden, der oft schon in der Kindheit beginnt. Die größte Rolle bei dieser psychischen Störung spielt laut aktuellem Forschungsstand die Vererbung. Die drei Hauptmerkmale der Störung sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die in verschiedenen Kombinationen auftreten können. Erste Anzeichen für ADHS können bereits im Kleinkindalter beobachtet werden, sind jedoch meist im Alter von fünf bis sechs Jahren deutlich erkennbar.

Zwei bis drei Prozent der Bevölkerung haben ADHS

Die Medizin geht davon aus, dass konstant 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung ADHS haben. Die Zahl steigt nicht, augenscheinlich aber die Wahrnehmung der Erkrankung, wie unter anderem die vermehrte Suche nach Selbsttests im Internet zeigt. Viele Menschen informieren sich vor allem über soziale Medien wie Tiktok, neben #autism gilt #ADHD als eines der zehn am häufigsten genutzten gesundheitsbezogenen Hashtags.

Das Team von Vasileia Karasavva von der University of British Columbia in Vancouver hat nun 98 besonders beliebte Tiktok-Videos zu ADHS analysiert. Im Durchschnitt waren diese knapp 40 Sekunden lang und hatten insgesamt fast eine halbe Milliarde Aufrufe, alle waren auf Englisch. Die Hälfte der Videoersteller warb für den Kauf bestimmter Produkte wie Arbeitsbücher, Fidget Spinner oder Coaching-Dienste oder bat um Spenden – subtile Werbung noch gar nicht berücksichtigt.

Oft irreführend, selten nützlich

Zwei Psychologen gaben eine Einschätzung zur inhaltlichen Korrektheit der Beiträge. Sie stuften 52 Prozent der Videos als irreführend ein, nur 21 Prozent als nützlich – und kein einziges als auf jeden Fall empfehlenswert. 92 der 98 Videos thematisierten demnach ausschließlich Aussagen über ADHS-Symptome wie «Mein ADHS bringt mich dazu, dies zu tun», keine Therapiemöglichkeiten. Gut die Hälfte der Angaben zu Symptomen wurde von den Psychologen als nicht ADHS-bedingt bewertet – überwiegend bildeten sie stattdessen normale menschliche Erfahrungen ab, einige Symptome waren eher typisch für andere Störungen.

Wurden Behandlungsoptionen angegeben, basierten sie zumeist lediglich auf persönlichen Erfahrungen. «Anekdoten und persönliche Erfahrungen sind sehr wirkungsvoll, aber wenn der Kontext fehlt, können sie zu Missverständnissen über ADHS und psychische Gesundheit im Allgemeinen führen», erklärte Karasavva.

ADHS-Prävalenz um etwa das Zehnfache überschätzt

In einem zweiten Versuch wurden gut 800 Studenten im Alter von 18 bis 25 Jahren die fünf am besten und am schlechtesten bewerteten Videos aus der ersten Analyse gezeigt. Darunter waren junge Männer und Frauen – teilweise ohne und teilweise mit offizieller oder selbstgestellter ADHS-Diagnose. Im Allgemeinen wurden die besseren Videos auch als besser bewertet. Auffällig war, dass die ADHS-Prävalenz in der Bevölkerung auf etwa 33 Prozent extrem überschätzt wurde. Dies war insbesondere bei Personen mit selbst diagnostizierter ADHS der Fall. Die Videos bestärkten sie zudem in ihrem Glauben, selbst an ADHS zu leiden.

Kathrin Karsay von der Universität Wien, die nicht an der Studie beteiligt war, erklärte, dass soziale Medien eine wichtige Informationsquelle für Gesundheitsthemen seien. Die Algorithmen auf diesen Plattformen bevorzugen jedoch hauptsächlich Beiträge, die besonders unterhaltsam oder emotional sind und daher viele Interaktionen hervorrufen. Es ist nicht überraschend, dass Symptome falsch oder übertrieben dargestellt werden, ähnliche Ergebnisse wurden auch bei anderen Krankheiten wie dem Tourette-Syndrom oder Prostatakrebs festgestellt.

Verniedlichende Darstellung

«Auf Tiktok werden ADHS-Betroffene oft als quirlig, liebenswert und fast schon unterhaltsam dargestellt – eine „süße Störung“, die in kurzen, humorvollen Clips inszeniert wird», so Karsay. Viele Inhalte zeigten Alltagssituationen und setzten auf unterhaltsame Narrative. «Dadurch entsteht ein positives, manchmal auch verharmlosendes, romantisierendes Bild der Erkrankung.»

Paula Stehr, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Augsburg, stellte fest, dass junge Erwachsene die Inhalte kritisch reflektieren und Videos, die von Experten als schlecht bewertet werden, ebenfalls negativ beurteilen. Besorgniserregend sei jedoch, dass falsche Symptome häufig genannt werden und es nur wenige Hinweise zum Umgang mit ADHS gibt.

Mehr Fachleute bei Tiktok wären wünschenswert

«Um den hohen Informationsbedarf von Betroffenen zu decken, müssen fundierte Inhalte leicht zugänglich sein», so Stehr. Auf Plattformen wie Tiktok seien mehr Beiträge von Fachleuten wünschenswert. «So können die Informationen dort verfügbar gemacht werden, wo sich die jungen Erwachsenen in ihrem Mediennutzungsalltag aufhalten.» Momentan seien für Informationen vor allem geprüfte Plattformen wie «gesundheitsinformation.de» zu empfehlen.

dpa