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Aids-Konferenz in München – UN-Ziele auf der Kippe?

In München beraten tausende Experten aus aller Welt über Möglichkeiten zu weiteren Eindämmung von HIV und Aids. Sorge macht vielen die politische Weltlage und die Frage nach finanziellen Mitteln.

Die rote Schleife ist ein Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten
Foto: Sunil Pradhan/SOPA Images via ZUMA Wire/dpa

Jede Minute stirbt weltweit ein Mensch an den Folgen von Aids. Auch wenn es große Erfolge im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit gibt, ist sie nicht gebannt. Um potenzielle neue Ansätze geht es von diesem Montag an bei der 25. Welt-Aids-Konferenz in München. «AIDS 2024» wolle politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Kräfte mobilisieren, um mit HIV lebenden Menschen weltweit eine Therapie zu ermöglichen, sagt der Kongresspräsident Christoph Spinner aus München. 

Die weltweit größte Zusammenkunft zum Thema HIV und Aids wird in München von der Internationalen Aids-Gesellschaft IAS bis zum 26. Juli mehr als 10.000 Teilnehmer aus über 175 Ländern erwartet. Bundeskanzler Olaf Scholz wird zur Eröffnung sprechen.

UN-Ziele gefährdet? 

Seit dem Höhepunkt der Neuinfektionen im Jahr 1995 mit geschätzt etwa 3,2 Millionen hat sich die Zahl laut UNAIDS – dem Programm der UN zu HIV/AIDS – mehr als halbiert. Die Todeszahlen wurden seit 2004, als rund zwei Millionen Menschen starben, auf etwa ein Drittel reduziert.

Die Vereinten Nationen haben das Ziel, die Neuinfektionen und Aids-assoziierten Todesfälle von 2010 bis 2030 um 90 Prozent zu reduzieren – und damit das Ende von Aids als Bedrohung für die öffentliche Gesundheit zu erklären. Allerdings befinden sich UNAIDS und andere Programme in einer Finanzierungskrise.

«Es ist eine politische Entscheidung, ob die Ziele erreichbar sind», sagt Peter Wiessner vom Aktionsbündnis gegen AIDS. Die Corona-Pandemie habe alle Aufmerksamkeit absorbiert, nun forderten andere Krisen – nicht zuletzt die Aufstockung der Verteidigungsfähigkeit in Europa angesichts des Ukraine-Krieges – hohe finanzielle Mittel. 

Sorge um politische Entwicklung

Mit Sorge blicken Experten auch auf die politische Entwicklung weltweit und das Erstarken rechter und extremer Kräfte in vielen Ländern – mit der Gefahr von Diskriminierung und Verfolgung von LGBTQ-Gemeinschaften. Menschen ließen sich aus Angst vor Entdeckung oft nicht mehr testen oder ärztlich betreuen, heißt es von der Deutschen Aidshilfe. «Wo Homosexualität, Sexarbeit und Drogenabhängigkeit verfolgt werden, steigen die Zahlen», erklärt Sprecher Holger Wicht. 

In Wladimir Putins Russland zum Beispiel würden Betroffene zunehmend diskriminiert, sagt Wicht. «Homosexuelle Männer in Russland werden noch stärker stigmatisiert, das Klima für sie wird immer feindlicher.» In Uganda droht seit 2023 bei «schwerer Homosexualität» die Todesstrafe. UNAIDS befürchtet, dass die großen Fortschritte des Landes im Kampf gegen HIV nun gefährdet sind.

In Deutschland herrsche, getrieben von rechten Kräften, teils schon ein geändertes Klima, sagt Wicht. «Die Menschen spüren auch in Deutschland, dass da ein anderer Wind weht, dass sie mehr bedroht sind. Wir hören zunehmend von Gewalt gegen queere Menschen. Es scheint so zu sein, dass die Feindlichkeit zunimmt, und das macht Menschen Angst – und kann zu einem stärkeren Rückzug führen.»

Blick in die USA

Fachleute sind besorgt über die Situation in den USA im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen. Sollte Ex-Präsident Donald Trump erneut an die Macht kommen, besteht nicht nur die Gefahr einer verstärkten Diskriminierung von Risikogruppen. Auch die Finanzierung verschiedener Programme würde wahrscheinlich beeinträchtigt. Gemäß UNAIDS stammten zuletzt etwa 58 Prozent der gesamten internationalen HIV-Hilfe aus bilateraler Finanzierung durch die USA.

Entkriminalisierung verlangt 

In einer gemeinsamen Erklärung wenden sich der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk und die UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima gegen strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich und queer sind. «Solche Gesetze kosten Leben», schreiben sie. Eine Studie in Afrika südlich der Sahara habe gezeigt, dass die HIV-Verbreitung unter Männern, die Sex mit Männern haben, in Ländern mit einer Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen fünfmal höher war als in anderen.

Zugang zu Medikamenten

Eine Infektion mit dem HI-Virus kann unbehandelt die Immunschwächekrankheit AIDS verursachen. Antivirale Medikamente ermöglichen bei frühzeitiger Behandlung ein weitgehend normales Leben. Außerdem verhindert eine erfolgreiche Therapie eine weitere Übertragung. Doch laut UNAIDS haben bis heute weltweit ein Viertel der mit HIV lebenden Menschen keinen Zugang zu Therapien.

Die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) ist in vielen Teilen der Welt nicht zugänglich und auch in Europa außer bei homo- und bisexuellen Männern oft unbekannt. Bei korrekter Einnahme können diese Medikamente eine Infektion verhindern.

Aktuelle Lage in Deutschland

Laut Robert Koch-Institut (RKI) haben sich in Deutschland im Jahr 2023 schätzungsweise rund 2.200 Menschen mit HIV infiziert. Diese Zahl sei höher als im Jahr zuvor, aber ähnlich wie vor der Corona-Pandemie. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, ist die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zu 2019 laut RKI gesunken – möglicherweise aufgrund der PrEP-Nutzung. Die Anzahl der Neuinfektionen durch Drogeninjektionen steigt seit 2010 an. HIV-Übertragungen durch heterosexuelle Kontakte sind häufiger als vor der Pandemie.

HIV-Diagnosen werden auch in Deutschland oft erst Jahre nach der Infektion gestellt. Aktuell wisse geschätzt etwa jeder zehnte Betroffene nichts von seiner Infektion – mit dem Risiko, das Virus unwissentlich weiterzugeben, sagt Kongresspräsident Spinner vom Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. «HIV wird in erster Linie durch Menschen übertragen, deren HIV-Infektion noch nicht diagnostiziert wurde», mahnte schon früher das RKI. «Kondome zu benutzen, bleibt ein Grundpfeiler der Prävention von HIV und weiteren sexuell übertragbaren Erregern.»

 

dpa