Bei Nutzern von E-Zigaretten oder Nikotinbeuteln kursiert der Mythos vom sicheren Nikotin. Unsinn, sagen Experten. Ohne Maßnahmen drohe zudem «die größte Nikotinsuchtwelle seit den 1950er-Jahren».
Bericht: Nikotin ist immer gefährlich – egal in welcher Form

Der Europäische Kardiologenverband ESC warnt davor, dass Nikotin giftig für Herz und Blutgefäße ist, unabhängig davon, ob es über E-Zigaretten, Nikotinbeutel, Shishas oder Zigaretten konsumiert wird. Dies geht aus einer Analyse der gesamten Fachliteratur zur Schädlichkeit von Nikotinprodukten hervor.
«Kein nikotinhaltiges Produkt ist unbedenklich für Blutgefäße oder Herz», hieß es in einer Mitteilung zu dem im «European Heart Journal» vorgestellten Bericht der European Society of Cardiology (ESC). Die Erzählung von vermeintlich sichererem Nikotin müsse ein Ende haben, sagte Thomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz, einer der Hauptautoren.
Schon Nikotin allein kann viele Schäden verursachen
«Bei Zigaretten, E-Zigaretten, Tabakerhitzern und Nikotinbeuteln beobachten wir durchweg erhöhten Blutdruck, Gefäßschäden und ein höheres Risiko für Herzerkrankungen», erklärte er. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nikotin allein, selbst ohne die Vielzahl an giftigen Verbrennungsprodukten, Teer oder freien Radikalen im Zigarettenrauch, Herz-Kreislauf-Schäden verursacht.»
Die Experten weisen darauf hin, dass die Langzeitwirkungen neuerer Nikotinprodukte noch unbekannt sind und weitere Forschung erforderlich ist, um die Auswirkungen vollständig zu verstehen. Viele Menschen konsumieren Zigaretten gleichzeitig mit anderen Produkten, was es schwierig macht, die Wirkungen der einzelnen Produkte zu bestimmen.
Die Expertengruppe hebt in ihrem Bericht den dramatischen Anstieg des Konsums von E-Zigaretten, Tabakerhitzern und Nikotinbeuteln hervor, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. «Europa braucht dringend eine einheitliche Regelung für alle Nikotinprodukte, insbesondere zum Schutz von Jugendlichen, die heute die Hauptzielgruppe aggressiver Werbung sind», sagte Münzel. «Wenn Europa jetzt nicht handelt, werden wir mit der größten Nikotinsuchtwelle seit den 1950er-Jahren konfrontiert sein.»
Laut dem Bericht sind E-Zigaretten und Nikotinbeutel keine effektiven Mittel zur Raucherentwöhnung, sondern erleichtern den Einstieg ins Rauchen und führen oft dazu, dass sie gleichzeitig mit Zigaretten konsumiert werden. Zum Beispiel hatten drei Viertel der jungen Erwachsenen, die dampfen, zuvor noch nie geraucht. Die Sucht wird durch regulatorische Schlupflöcher, aggressive Werbung in sozialen Medien sowie Geschmacksrichtungen wie Mango oder Zuckerwatte verstärkt.
Wechsel zu E-Zigaretten ist keine Schadensminderung
Der Wechsel von Zigaretten zu E-Zigaretten und Nikotinbeuteln bedeute keine wirksame Schadensminderung, sondern eine Transformation der Suchtstrategien, erklärte ESC-Präsident Thomas Lüscher von den Royal Brompton & Harefield Hospitals in London. «Wir brauchen politisches Handeln», mahnte er.
Laut dem Kardiologenverband sind ein Verbot von Aromen und von Werbung in sozialen Medien sowie eine effektive Besteuerung erforderlich. Die Integration von E-Zigaretten und Tabakerhitzern in alle Nichtraucherschutzgesetze ist nicht mehr optional, sondern unerlässlich zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Mediziner: Auch Passivrauchen von E-Zigaretten birgt Risiken
Obwohl E-Zigaretten im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten weniger Karzinogene freisetzten, seien sie «weit davon entfernt, harmlos zu sein». Nikotinbedingte Erkrankungen verursachen dem Expertenteam zufolge derzeit jährlich hunderte Milliarden Euro Schaden in Form von Kosten im Gesundheitswesen und Produktivitätsverlusten. Allein in Europa überschreiten die jährlichen Kosten demnach 300 Milliarden Euro.
Auch der Passivkonsum berge Risiken: Rauch oder Aerosolen von E-Zigaretten, Wasserpfeifen und erhitztem Tabak ausgesetzt zu sein, verursache Gefäßschäden auch bei Unbeteiligten. Die wissenschaftliche Belege seien eindeutig, bilanzierte ESC-Präsident Lüscher. «Nun liegt es in der Verantwortung der Gesetzgeber, die Bevölkerung, insbesondere Kinder, vor einer neuen Epidemie von Sucht und Krankheit zu schützen.»








