Weniger als 0,001% der Tiefseeböden wurden bisher direkt erforscht. Die begrenzte Erkundung birgt ernsthafte Probleme für Wissenschaft und Gesetzgebung.
Die unerforschte Tiefsee – ein riesiges Mysterium
Seit Jahrzehnten erforscht die Menschheit die Tiefsee – und kennt trotzdem nur einen minimalen Bruchteil davon. Nicht einmal 0,001 Prozent des gesamten Tiefseebodens seien bislang durch direkte Beobachtungen von Menschen erfasst worden, rechnet ein US-Forschungsteam im Fachblatt «Science Advances» vor. Das entspricht gerade einmal rund einem Zehntel der Landesfläche von Belgien.
Großes Unwissen, viele Bedrohungen
Die federführende Forscherin Katy Croff Bell betont in einer Mitteilung: «Diese begrenzte Erforschung einer so riesigen Region wird zum ernsthaften Problem für Wissenschaft und Gesetzgebung, da die Tiefsee verstärkten Bedrohungen – von Klimawandel bis möglichen Tiefseebergbau und Ausbeutung – ausgesetzt ist.» Es brauche ein viel besseres Verständnis über die Ökosysteme der Ozeane und ihrer Prozesse, um informierte Entscheidungen über Schutz und Ressourcenmanagement zu treffen.
Bell ist Präsidentin der Ocean Discovery League, die sich für eine verbesserte Erforschung der Ozeane einsetzt. Das Team hat für die aktuelle Schätzung Daten von Tiefseetauchgängen der letzten Jahrzehnte analysiert, insgesamt wurden etwa 44.000 Tauchgänge ausgewertet. Fast 30 Prozent davon fanden vor 1980 statt, daher liegen nur Schwarz-Weiß-Bilder mit geringer Auflösung vor.
Forschung von wenigen Staaten dominiert
Das Team hat neben der enormen Größe des Unbekannten auch regionale Besonderheiten festgestellt: Die Erforschung der Tiefsee – also der Meeresregionen ab einer Tiefe von mindestens 200 Metern – ist aufgrund hoher Kosten stark von einigen wenigen Ländern dominiert: Die USA, Japan, Neuseeland, Frankreich und Deutschland sind für 97 Prozent der durchgeführten Beobachtungen verantwortlich. Daher sind die Gebiete in der Nähe dieser Länder am besten erforscht: Ein Großteil davon liegt in den 200-Meilen-Zonen von Japan, Neuseeland und den USA.
«Diese kleine und verzerrte Stichprobe ist problematisch, wenn es darum geht, die Weltmeere zu charakterisieren, zu verstehen und zu managen», schreiben die Autoren.
Laut den Autoren macht die Tiefsee insgesamt mehr als 60 Prozent der Erdfläche aus. Sie ist entscheidend für das Gleichgewicht des Planeten, insbesondere für die Regulierung des Klimas. Die Ozeane sind stark vom Klimawandel betroffen, da sie den Großteil der menschengemachten Wärme absorbieren. Während die Auswirkungen in den oberen Schichten recht gut erforscht sind, ist über die Folgen in der Tiefsee bisher weniger bekannt.
Nicht alle Tauchgänge erfassbar
Durch den Einsatz von Satellitentechnik wurde der Meeresboden teilweise aus der Ferne kartiert. Die Autoren der Studie betonen jedoch, dass direkte visuelle Beobachtungen von großer Bedeutung sind – beispielsweise um das Umfeld, aus dem Proben entnommen wurden, einordnen zu können oder um die Entwicklung der Artenvielfalt zu untersuchen.
Die Studie hat eine Schwäche, da der Zugang zu Daten über Tauchgänge teilweise eingeschränkt ist, wenn diese Unternehmen – wie beispielsweise aus dem Öl- oder Gassektor – gehören oder als geheim eingestuft sind, wie das Forschungsteam berichtet.
Um die Wissenslücke zu verringern, sind enorme Anstrengungen erforderlich. Die Autoren schreiben, dass die dafür notwendige Ausrüstung jedoch kleiner und günstiger wird, was kleineren und weniger wirtschaftsstarken Ländern die Möglichkeit gibt, sich stärker an der Forschung zu beteiligen.