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Blauzungenkrankheit – Virus-Tsunami trifft Schafe und Rinder

Für Menschen ist sie ungefährlich – für Tiere aber bedeutet sie viel Leid: Die Blauzungenkrankheit bereitet Landwirten gerade große Sorgen – und wird so schnell nicht wieder verschwinden.

Die Blauzungenkrankheit wird von einem Virus veruracht, kurz BTV genannt. (Archivbild)
Foto: Francois Nascimbeni/AFP/dpa

Die Blauzungenkrankheit, die für Schafe und Rinder gefährlich ist, breitet sich in Deutschland immer weiter aus. Laut dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems explodieren die Fallzahlen regelrecht. Der Grund dafür ist, dass die krankheitsübertragenden Mücken seit Wochen zahlreich und sehr aktiv sind.

Innerhalb von nur zehn Monaten hat sich der Erreger in ganz Deutschland verbreitet. Laut FLI gab es bislang nur in Berlin keine erfassten Fälle, nachdem am Freitag noch Sachsen hinzukam.

Um was für einen Erreger handelt es sich?

Es geht um ein Virus, das Blauzungenvirus, kurz BTV. Hauptsächlich infizieren sich Schafe und Rinder damit, auch südamerikanische Kamelarten, Ziegen und Wild-Wiederkäuer sind anfällig. Das Virus tritt in über 20 verschiedenen Varianten auf, Serotypen genannt. Derzeit ist in Deutschland und anderen europäischen Ländern der Typ BTV-3 verbreitet.

Wie stecken sich Schafe und Kühe an?

Die meisten BT-Viren werden durch blutsaugende Mücken aus der Gruppe Culicoides übertragen, sehr kleine Mücken, die zu den Gnitzen gehören. Sie vermehren sich hauptsächlich in der warmen Jahreszeit bei feuchtwarmem Wetter.

Laut einem Beitrag im Fachmagazin «Science» können die Mücken innerhalb weniger Tage mehrere Kilometer weit fliegen – bei Rückenwind sogar hunderte Kilometer. Auch der Transport von kranken Tieren kann zur Verbreitung des Virus beitragen.Nach der Übertragung durch den Stich einer infizierten Gnitze vermehrt sich das Virus in bestimmten Lymphknoten. Erkrankte Tiere sind in der Regel lebenslang immun. Einmal mit der jetzt kursierenden Variante infizierte Tiere erkranken also nicht erneut daran – an anderen Serotypen allerdings schon.

Wie gefährlich ist das Virus für Menschen?

Das Friedrich-Loeffler-Institut betont, dass der Erreger nicht auf Menschen übertragbar ist. Es ist auch unbedenklich, Fleisch und Milchprodukte von Tieren, die an Blauzungenkrankheit leiden, zu konsumieren.

Wie geht es erkrankten Tieren?

Die Blauzungenkrankheit kann sehr schmerzhaft sein und je nach Serotyp unterschiedlich häufig zum Tod führen. Schafe leiden oft an starken Schmerzen im Maul und lahmen, wie es vom FLI beschrieben wird. Die namensgebende Verfärbung der Zunge tritt hingegen selten auf. Bei Rindern verläuft die Krankheit in der Regel milder.

Laut Daten aus den Niederlanden, die bereits seit langem betroffen sind, sterben bei der derzeit in Europa zirkulierenden Variante BTV-3/NET2023 im Durchschnitt ein Viertel der Tiere in Schafhaltungen – deutlich mehr als bei anderen Varianten. In einigen Betrieben sterben sogar mehr als 70 Prozent der erkrankten Tiere. Auch bei Rindern ist die Sterblichkeitsrate laut den Daten erhöht, und bei Milchkühen kann die Milchleistung deutlich abnehmen.

Wie ist die Lage aktuell?

In den letzten Tagen wurden aus einer zunehmenden Anzahl von Bundesländern Fälle gemeldet. Im Juni wurden vom FLI noch 13 betroffene Tierhaltungen deutschlandweit erfasst, im Juli waren es bereits mehr als 1.200. Bis zum 23. August wurden allein schon über 4.800 betroffene Betriebe gemeldet.

Im Laufe des Jahres sei weiter mit immer mehr Fällen und mehr betroffenen Betrieben zu rechnen, heißt es von dem für Tierseuchen zuständigen Bundesinstitut. Und: «Auf jeden Fall wird uns BTV-3 auch noch im kommenden Jahr beschäftigen.»

Laut dem Deutschen Bauernverband gibt es insgesamt etwa 10,6 Millionen Rinder (Stand Mai) in Deutschland, wovon ungefähr 3,7 Millionen Milchkühe sind. Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein beherbergen zusammen mehr als 75 Prozent der Rinder.

Wie ungewöhnlich ist so ein Tsunami an Neuinfektionen?

Laut dem FLI verläuft die Verbreitung der Blauzungenkrankheit des Serotyps 3 ähnlich wie die von Serotyp 8 im Jahr 2007. Es zeigt sich, dass sich der Erreger sehr schnell ausbreiten kann. Die Anzahl der Neuerkrankungen steigt nach einem moderaten Beginn in der zweiten Jahreshälfte plötzlich steil an und nimmt erst gegen Ende des Jahres ab – je nach Auftreten und Aktivität der Überträgermücken.

Woher kommt die Variante BTV-3/NET2023?

Ein möglicher Ursprung im südlichen Afrika wird vermutet, jedoch hat das FLI bisher weder bestätigt noch widerlegt. Es gibt klare Unterschiede zu allen bisher bekannten BTV-3 Ausbrüchen in Europa, was auf einen weit entfernten Ursprungsort hinweist.

Möglicherweise gibt es laut Bundesinstitut einen Eintrag über den globalen Handel. Nicht unbedingt mit Schafen oder Kühen: Infizierte Gnitzen könnten auch mit Materialien eingeschleppt worden sein.

Die Variante sei erstmals im September 2023 in den Niederlanden aufgetreten und habe sich schnell verbreitet. Im Oktober 2023 wurde die erste Infektion in Deutschland bestätigt, bei einer Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen.

Experten zufolge begünstigt der Klimawandel Ausbrüche der Krankheit, weil er den Gnitzen eine leichtere Überwinterung ermöglicht und dadurch eine schnellere Ausbreitung in den folgenden Monaten ermöglicht. Außerdem fördern höhere Temperaturen die Vermehrung des Erregers in den Gnitzen.

Was bedeutet die Seuche für Landwirte?

Aufgrund der Ausbrüche wurde der Status «frei von der Blauzungenkrankheit» für Deutschland ausgesetzt. Tiere aus betroffenen Gebieten dürfen dem FLI zufolge nur nach Testung und Behandlung mit Insektiziden in BTV-freie Gebiete gebracht werden. Das könne den Handel deutlich erschweren.

«Seitdem alle Bundesländer von der Seuche betroffen sind, sollte der Handel innerhalb Deutschlands wieder ohne besondere Auflagen möglich sein», hieß es vom Bauernverband. Der Handel mit BTV-freien Regionen in der EU sei allerdings stark eingeschränkt beziehungsweise an Auflagen gebunden.

Die deutschen Tierseuchenkassen zahlten im Jahr 2007 Entschädigungen für 33.233 tote Schafe und 10.240 Rinder aufgrund der BTV-8-Epidemie, wie es beim FLI heißt. Landwirte erleiden auch Verluste durch die verminderte Milchleistung und verendete Tiere.

Lässt sich gegensteuern?

Gemäß einer Eilverordnung ist es erlaubt, drei verschiedene BTV-3-Impfstoffe zu verwenden. Dies hilft, die Symptome und die Virusvermehrung bei Tieren zu reduzieren, wie es vom FLI bestätigt wird. Trotz Impfung wird kein vollständiger Schutz erreicht, da geimpfte Tiere immer noch erkranken können.

Das FLI betont, dass eine Impfung der einzige mögliche Schutz für die Tiere ist. Die Akzeptanz sei bei einer freiwilligen Impfung, die in der Regel von den Tierhaltern selbst bezahlt werden muss, jedoch deutlich geringer als bei einer obligatorischen Impfung, die meist von der Tierseuchenkasse übernommen wird.

«Die Impfungen werden verbreitet genutzt», heißt es vom Bauernverband. Für die früh betroffenen Regionen hätten sie aber zu spät zur Verfügung gestanden. Wie umfassend es nun gelingt, die Tierbestände mit einer Impfung zu schützen, werde ein wichtiger Faktor dafür sein, wie lange sich die Epidemie noch hinziehe.

dpa