Ein weiterer Puzzlestein zum Wissen über die verblüffenden Fähigkeiten von Rabenvögeln: Krähen vermögen bei geometrischen Figuren sogar Feinheiten wie nicht parallel laufende Linien zu erkennen.
Das ist kein Quadrat! – Krähen erkennen geometrische Formen
Fünf Quadrate und dazwischen ein Trapez – so manches Kind täte sich schwer, die abweichende geometrische Form zu erkennen. Krähen aber schaffen das verblüffenderweise, wie ein Team um Andreas Nieder von der Universität Tübingen im Fachjournal «Science Advances» berichtet.
Das Team um Nieder trainierte zwei zehn und elf Jahre alte Rabenkrähen (Corvus corone) darauf, auf einem Bildschirm unter sechs Formen die jeweils abweichende zu erkennen. Hatten die Vögel den «Abweichler» erkannt, pickten sie auf diese Form. Zur Belohnung gab es Futter.
Abweichende Winkel oder nicht parallele Linien werden erkannt
Zu Beginn lernten die Krähen, ein klar unterschiedliches Bild aus einer Serie von sechs Bildern zu identifizieren, wie zum Beispiel einen Stern unter fünf Kreisen. Nachdem die Krähen das Konzept verstanden hatten, wurden in der Hälfte der Versuchsdurchläufe ohne zusätzliches Training rechteckige Formen gezeigt – wie zum Beispiel fünf Quadrate mit einem unsymmetrischen Viereck dazwischen.
Die Vögel erkannten die Formen, die sich aufgrund geometrischer Parameter wie zum Beispiel Asymmetrie unterschieden, spontan häufiger als durch die zufällige statistische Verteilung zu erwarten wäre. Eine Krähe erkannte zum Beispiel ein «falsches» Viereck in knapp 50 Prozent der Fälle, die andere in knapp 60 Prozent der Fälle. Der Wert für rein zufällige Treffer läge bei 16,7 Prozent. Bei komplexeren Vierecken mit variableren Winkeln und weniger Symmetrie lagen die Erfolgsquoten niedriger – ein Effekt, der auch bei Menschen auftritt, wie Nieder erklärt.
Eine genaue Analyse der Leistungen legt nahe, dass die Krähen ihre Wahrnehmung von Regelmäßigkeit nicht durch das Lernen während der Versuche erlangten, sondern dass diese Fähigkeit bereits zuvor vorhanden war.
Größenordnungen und Geometrie in der biologischen Evolution verwurzelt
Die Forschenden schließen, dass Krähen wie Menschen spontan geometrische Regelmäßigkeit in visuellen Formen erkennen. Das Team erläutert, dass dieses grundlegende Intuition zeigt, dass Kernwissen über Größenordnungen und Geometrie in der biologischen Evolution verwurzelt ist.
Krähen sind nicht nur stark in Geometrie, sondern auch in ihrem Lernvermögen. Sie werfen gerne hartschalige Dinge vor Autos, Räder oder Füße, um sie aufzuknacken.
Und jetzt: Dreimal krächzen bitte
Studien haben gezeigt, dass Krähen rudimentär zählen können – wenn vier Jäger ein Waldstück betreten, können sie also warten, bis alle vier tatsächlich weg sind. Das Team um Nieder hat auch gezeigt, dass die Tiere lernen können, wie oft sie rufen sollen: Nach der Präsentation bestimmter Bildsymbole oder Töne gaben sie je nach Anforderung ein bis vier Rufe ab und drückten dann einen Schlussbutton.
Neukaledonische Krähen (Corvus moneduloides) verwenden in ihrem natürlichen Lebensraum kleine Äste, um Werkzeuge herzustellen. In Experimenten wurde ihnen ein Plexiglaszylinder mit Wasser präsentiert, in dem Futter schwamm, das für sie unerreichbar war. Die Krähen warfen dann Gegenstände wie Steine ins Wasser, um an das Futter zu gelangen. Dabei bevorzugten sie schwerere und feste Objekte gegenüber hohlen. Außerdem entschieden sie sich zwischen zwei Wasserzylindern für denjenigen, der bereits am meisten gefüllt war.
In einer anderen Studie wurde nachgewiesen, dass die Vögel Probleme lösen können. Sie sind in der Lage, hintereinander drei verschiedene Arten von Werkzeugen zu verwenden, um an Nahrung zu gelangen, ohne dies zuvor geübt zu haben.
Den Kiesel hier heb‘ ich mal für morgen auf
Zahlen, Geometrie, physikalische Grundlagen – schon beeindruckend, oder? Aber es geht noch weiter: Menschen und Kolkraben (Corvus corax) planen bei Entscheidungen für die Zukunft. Sie denken: „Das könnte ich später noch brauchen, und das hier tausche ich später gegen etwas Besseres ein.“
Forschende haben in einer Studie gezeigt, dass Kolkraben über Stunden hinweg Gegenstände aufbewahren mussten, die entweder als Werkzeug oder als Tauschobjekt zum Erreichen von Futter dienten. Ein Beispiel war ein Stein bestimmter Größe, der oben in das Rohr einer speziellen Apparatur geworfen wurde und unten ein Leckerli herausfallen ließ.
Bist du nett zu mir, bin ich nett zu dir
Man sollte bedenken, dass Krähen ein sehr gutes Gedächtnis für erlebte Gemeinheiten haben. Es ist ratsam, sie nicht zu belästigen oder zu ärgern, und besonders vorsichtig zu sein, um mögliche Rache-Attacken zu vermeiden. Andererseits nähern sich wilde Krähen oft vertrauensvollen Menschen und lassen sich füttern.