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Alkoholkonsum in Deutschland: Sinkende Zahlen, aber noch immer zu hoch

Trotz rückläufigem Trend bleibt der Alkoholkonsum in Deutschland auf hohem Niveau, vor allem bei Männern. Gesellschaftlicher Kulturwandel und politische Maßnahmen sind gefragt.

Frauen gehören zu jenen Gruppen, die eher mehr statt weniger trinken.
Foto: Silas Stein/dpa

Jeder Tropfen ist einer zu viel – so lässt sich die jüngere Forschung rund um den Konsum von Alkohol zusammenfassen. Eine große Studie im «Journal of Studies on Alcohol and Drugs» stellte im vergangenen Jahr klar: Alkohol ist auch dann nicht gesundheitsfördernd, wenn er in Maßen genossen wird. Im «British Medical Journal» warnten Wissenschaftlicher in diesem Herbst: Jeder Tropfen erhöhe wahrscheinlich das Risiko für Demenz. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung betont in einer aktualisierten Empfehlung: Risikofrei lebt nur, wer komplett auf Alkohol verzichtet.

Tatsächlich ergab eine umfangreiche Gesundheitsumfrage des Robert Koch-Instituts, dass gut jeder Fünfte (21 Prozent) der Erwachsenen angab, keinen Alkohol zu konsumieren. Im letzten Jahr wurden fast doppelt so viele alkoholfreie Biere hergestellt wie noch vor zehn Jahren, nämlich 579 Millionen Liter. Der Marktanteil beträgt nun laut dem Deutschen Brauer-Bund neun Prozent. In Berlin und anderen Großstädten kann man in ästhetisch ansprechenden Bars schicke Null-Promille-Cocktails genießen. Auch in der offiziellen Statistik des Jahrbuchs Sucht ist erkennbar, dass heutzutage weniger Alkohol konsumiert wird im Vergleich zu den 90er Jahren.

«Follow the Science»?

Lassen wir uns als Gesellschaft also tatsächlich von dem leiten, was die Wissenschaft über Alkohol sagt? Verzichten wir aus gesundheitlichen Gründen auf Trinkgelage und Exzesse? Eventuell zum Teil. Doch die Ursachen dafür sind vielfältig – und das Bild ist auch etwas komplizierter.

«Der Pro-Kopf-Konsum geht zurück und das schon seit einiger Zeit», hält Suchtforscherin Carolin Kilian vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur fest. «Er liegt allerdings immer noch auf einem sehr, sehr hohen Niveau. Auch im europäischen Vergleich ist das ein sehr kleiner Rückgang.»

Die Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen: In Deutschland werden immer noch 10,6 Liter reinen Alkohols pro Kopf ab 15 Jahren konsumiert – das ist deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Länder (8,5 Liter).

Zudem sieht der seichte Rückgang in Deutschland nicht in allen Gruppen gleich aus: «Vor allem Männer trinken weniger als früher – Frauen nicht unbedingt», so Kilian. Bei ihnen habe das Rauschtrinken sogar eher zugenommen. Rollenbilder hätten sich gewandelt. «Es ist nicht mehr ganz so fest verankert, dass Männer sehr viel trinken. Und es ist nicht mehr so stigmatisiert, dass Frauen überhaupt trinken.» Zudem gebe es immer mehr geschlechtsspezifische Werbung, in der Frauen mit Alkohol ihre Erfolge oder Freundschaften feiern.

Deutlicher Rückgang bei Jüngeren

Bei den 12- bis 25-Jährigen hat das Ausmaß des Rauschtrinkens laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2023 wieder das Niveau vor der Corona-Pandemie erreicht. Dennoch ist der Alkoholkonsum in dieser Altersgruppe insgesamt deutlich niedriger als vor 20 Jahren. Etwa 7 Prozent der Mädchen und über 12 Prozent der Jungen im Alter von 12 bis 17 Jahren gaben in der Umfrage an, mindestens einmal pro Woche Alkohol zu konsumieren. Im Vergleich zu 2004 haben sich diese Werte mehr als halbiert.

«Es ist nicht mehr so cool, Alkohol zu trinken, wie noch vor einigen Jahren», meint Suchtforscherin Kilian. Es gebe sowohl einen Trend zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein als auch eine wachsende Gruppe der vollständig Abstinenten. Mutmaßlich spielten auch Social Media eine Rolle. «Das Internet vergisst nicht. Auch nicht den letzten Alkoholexzess.»

Wann ist ein Wandel ein Kulturwandel?

Leitet der veränderte Konsum einen anderen gesellschaftlichen Umgang ein mit der Volksdroge Nummer Eins? «Ich glaube schon, dass das, was wir bei jungen Menschen sehen, ein Kulturwandel ist, aber dieser Kulturwandel ist äußerst instabil», meint Kilian. Das sei eben das Problem, wenn ein Wandel nur durch Kultur beeinflusst werde und nicht durch einen gesetzlichen Rahmen. Bei Tabak sehe man etwa, dass der Konsum wieder ansteige. «Das ist sehr volatil und braucht einen größeren strukturellen Wandel.»

Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sieht einen Kulturwandel als Schlüssel: Wenn sich die Überzeugung breit mache, dass ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein Teil unserer Kultur sein soll, ebne dies auch den Weg für politische Maßnahmen. «Bislang scheitert das daran, dass wir eine alkoholfreundliche und -förderliche Kultur haben.»

Dass die Politik mehr tun muss, steht für Raiser fest. Es brauche sowohl Aufklärung als auch strukturelle Prävention, also Maßnahmen, um die Verfügbarkeit oder die Werbung einzuschränken oder den Preis etwa durch Steuern hochzuschrauben. «Da ist in Deutschland ganz viel Luft nach oben.»

Deutschland nicht auf Kurs

Kilian ergänzt, dass andere Länder, wie zum Beispiel im Baltikum, weiter fortgeschritten seien. Litauen habe konsequent die Empfehlungen der WHO befolgt, eine Alkoholsteuer eingeführt, die Verfügbarkeit von Alkohol beschränkt und die Werbung dafür eingeschränkt, was zu deutlichen Erfolgen geführt habe.

Deutschland steht jedoch vor dem Risiko, seine Ziele zu verfehlen: Im Jahr 2013 hat sich das Land als Mitglied der WHO verpflichtet, den Alkoholkonsum in der Bundesrepublik um zehn Prozent zu reduzieren. Laut den Autoren des Suchtjahrbuchs ist festzuhalten: Da der Gesamtkonsum von Alkohol pro Person zwischen 2013 und 2023 nur um acht Prozent gesunken ist, kann man nicht davon ausgehen, dass das Ziel erreicht wird.

dpa