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Dunning-Kruger-Effekt – Inkompetenz und Ignoranz

Denn sie wissen nicht, dass sie nichts wissen: Gerade inkompetente Menschen überschätzen sich Analysen zufolge oft. Zwei Psychologen gaben dem Effekt einen Namen, der in abwertenden Kommentaren sehr beliebt ist.

Der Dunning-Kruger-Effekt hat in der Öffentlichkeit eine große Fangemeinde.
Foto: Caroline Seidel/dpa

In den sozialen Medien wird oft behauptet, dass jemand der beste Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt sei. Die Attacke, die mit diesem populärwissenschaftlichen Begriff verbunden ist, besagt, dass sich jemand für schlau hält, nur weil er besonders dumm ist. Die Psychologen David Dunning und Justin Kruger präsentierten ihre Theorie in einer Arbeit aus dem Jahr 1999. Demnach neigen Menschen mit wenig Wissen dazu, sich zu überschätzen, da sie nicht einmal erkennen, was sie alles nicht wissen.

Es sei zwar toll, so viel öffentliche Bekanntheit zu haben, sagte Dunning kürzlich in einem «Scientific American»-Podcast. Er würde sich aber wünschen, der Begriff würde nicht als Schimpfwort benutzt, «denn es geht wirklich darum, über sich selbst nachzudenken und zu wissen, dass es Dinge geben könnte, die man nicht weiß. Es geht nicht darum, über andere Menschen zu urteilen.»

Die am lautesten schreien

Unter Fachleuten teils belächelt bis umstritten, hat der so einleuchtend klingende Effekt in der Öffentlichkeit eine riesige Fangemeinde. Denn wohl jeder hat gelegentlich den Eindruck, dass sein Gegenüber von einem Thema herzlich wenig Ahnung hat, sich selbst aber für den größten Kenner hält. «Das begegnet einem im Alltag doch recht oft», sagt der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg. «Die am lautesten schreien, sind meist die mit der wenigsten Ahnung.»

Der gefährliche Hang zur Selbstüberschätzung kann paradox sein. Für denjenigen selbst, der sich nach einer Google-Recherche eine medizinische Diagnose stellt oder nach dem Anschauen von drei Lehrvideos für den neuen Börsenexperten schlechthin hält. Für andere, wenn der 18-jährige Fahranfänger glaubt, besser zu fahren als alle anderen. Und für Unternehmen, wenn Angestellte die Tragweite ihres Handelns nicht erkennen.

Keine Ahnung von der eigenen Inkompetenz

Laut den beiden US-Psychologen liegt dem Phänomen zugrunde, dass Menschen im Allgemeinen schlecht darin sind, ihr Wissen, ihre Fähigkeiten oder ihre Leistung realistisch einzuschätzen: Mehr als 90 Prozent der US-Autofahrer sind Untersuchungen zufolge überzeugt, überdurchschnittlich gute Fahrer zu sein. Auch beim Fußballgucken, bei Finanzfragen oder Ansichten zur Klimakrise wird häufig deutlich: Menschen glauben schnell von sich, dass sie sich bestens auskennen.

Dunning und Kruger entdeckten den Effekt während Testreihen mit Studenten, die Fragebögen ausfüllten und dann ihre Leistung im Vergleich zu anderen einschätzen sollten. Sogar diejenigen im schlechtesten Viertel glaubten, dass sie viel besser abschnitten – auch wenn sie die Antworten der besten Teilnehmer sahen. Sie konnten ihre eigene Inkompetenz nicht erkennen und waren unfähig, die Kompetenz von Personen mit mehr Fachwissen anzuerkennen.

Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass Anfänger anfangs mit Respekt an eine Sache herangehen. Sobald sie jedoch erste kleine Fähigkeiten erworben haben, neigen sie zu einer starken Selbstüberschätzung. Ein wenig Erfahrung – und das Ego überholt die Leistung.

Dunning-Kruger-Effekt als Karrierebooster – und Bildungshemmnis

Doch warum existiert eine solche kognitive Verzerrung überhaupt, wenn sie doch so viele negative Folgen haben kann? Zum einen stärkt Selbstüberschätzung das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, wie der Hamburger Experte Erb erklärt. «Und wer sich selbst mehr zutraut, erreicht meist auch mehr.» Von sich überzeugte Unwissende kämen im Beruf oft weiter als klügere Tiefstapler. Das liege auch am Einfluss auf andere: Selbstüberschätzer würden oft als besonders kompetent und entschlussfreudig wahrgenommen.

Der Narr und der Weise

In der Fachliteratur hat der Dunning-Kruger-Effekt kaum Eingang gefunden – wohl auch, weil er gar zu trivial scheint. Schon der englische Dichter William Shakespeare fügte vor mehr als 400 Jahren in sein Theaterstück «As You Like It» («Wie es euch gefällt») den Satz ein: «The fool doth think he is wise, but the wise man knows himself to be a fool.» («Der Narr meint, er sei weise, doch der weise Mann weiß, dass er ein Narr ist.»)

Darüber hinaus gibt es durchaus kritische Stimmen zur Originalarbeit von 1999. Der Mathematiker Eric Gaze vom Bowdoin College in Brunswick (USA) gab im vergangenen Jahr bei «The Conversation», einer Plattform für Beiträge von Forschern und Akademikern, zu bedenken, dass der mathematische Ansatz, mit dem der Effekt nachgewiesen wurde, möglicherweise falsch ist. Die Rechenmethode übertreibe die Überschätzung der unteren 25 Prozent der Teilnehmer, so Gaze.

Dunning erklärte, dass nur die ursprüngliche Studie für die Kritik berücksichtigt wurde. Trotzdem wurde der Zusammenhang in einer Reihe weiterer Analysen geprüft.

Wenn es auch womöglich statistisch bedingte Einschränkungen gebe, an dem Zusammenhang an sich zweifle er nicht, sagt Erb. «Ich glaube an den Dunning-Kruger-Effekt.»

dpa