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Durch Hunderte Bisse zu Mittel gegen Schlangengifte gelangt

Ein Mann verabreicht sich stetig Toxine von Giftschlangen – und lässt sich Hunderte Male beißen. Schließlich ist er gegen viele Gifte immun. Das haben sich Forscher zunutze gemacht.

Der von Schlangen begeisterte US-Amerikaner Tim Friede hat sich selbst immer größere Dosierungen von Schlangengiften verabreicht und kann nun einfach so eine Wasserkobra auf dem Arm tragen.
Foto: ---/Centivax/dpa

Manchmal kommt der medizinische Fortschritt aus unerwarteten Quellen: Der US-Amerikaner Tim Friede, der Schlangen liebt, hat sich selbst zunehmend größere Dosen von Schlangengift verabreicht, um schließlich von verschiedenen giftigen Schlangen gebissen zu werden. Dadurch hat er eine bemerkenswerte medizinische Entwicklung ermöglicht.

Denn darauf aufbauend haben Wissenschaftler der Columbia Universität in New York und des Medizinunternehmens Centivax ein Gegengift entwickelt, das ihren Angaben zufolge das am breitesten einsetzbare bislang verfügbare Mittel sein soll. Das aus drei Stoffen bestehende Präparate soll vor den Giften von Königskobra, Schwarzer Mamba und 17 anderen Giftnattern (Elapidae) zumindest teilweise schützen, wie das Team im Fachblatt «Cell» berichtet.

Spender ließ sich jahrelang von Schlangen beißen

Ein bedeutendes Hindernis bei der Entwicklung von Antiseren gegen Schlangenbisse ist, dass die Gifte oft aus einem Mix verschiedener Toxine bestehen, die unterschiedliche Effekte haben. Laut den Forschern werden üblicherweise Gegengifte hergestellt, indem man Pferden oder Schafen das Gift einzelner Schlangenarten injiziert und die produzierten Antikörper isoliert.

Dieses Verfahren könnte zwar effektiv sein, aber auch schwerwiegende Nebenwirkungen haben, wenn nicht-menschliche Antikörper bei Menschen verwendet werden. Darüber hinaus sind diese sogenannten Antivenome nur gegen die Gifte der spezifischen Schlangenart wirksam. In diesem Fall ist es anders.

«Das Spannende an dem Spender war seine einmalige Immungeschichte», wird Erstautor Jacob Glenville, gleichzeitig Chef von Centivax, in einer Mitteilung des Verlags Cell Press zitiert. Friede habe sich über einen Zeitraum von fast 18 Jahren hundertfach von insgesamt 16 verschiedenen, sehr giftigen Schlangen beißen lassen. Er überlebte – und ist inzwischen bei Centivax angestellt.

Mittel an Mäusen getestet

Die Forscher isolierten aus seinem Blut zwei besonders breit wirkende Antikörper – LNX-D09 und SNX-B03 – und kombinierten sie mit einem Enzym-Hemmer zu einem Wirkstoff, der vor gleich mehreren Giften verschiedener Giftnattern schützen soll.

In der Studie wurde dieser Cocktail an Mäusen getestet, die zuvor Gifte verschiedener Giftnattern verabreicht bekamen. Dabei bot das Mittel vollständigen Schutz gegen Gifte von 13 Schlangenarten – darunter waren die Königskobra, die Schwarze Mamba und der Inlandtaipan, der als weltweit giftigste Schlange gilt. Gegen sechs weitere Spezies – darunter die Grüne Mamba – bot der Cocktail einen teilweisen Schutz.

Die Wissenschaftler geben zu, dass diese Fortschritte bei Mäusen noch nicht ausreichen. Als nächstes soll das Gegengift in Tierarztkliniken an Hunden getestet werden, die von Schlangen gebissen wurden.

Eine weitere Einschränkung sieht der nicht an der Studie beteiligte Biochemiker Tim Lüddecke von der Universität Gießen darin, dass die Wirkung auf die Gruppe der Giftnattern begrenzt sei: «Die Gifte der Vipern, welche völlig anders wirken und anders aufgebaut sind, werden nicht adressiert.» Das habe wichtige Konsequenzen in der Anwendung, denn diese Gruppe von Schlangen (Viperidae) verursache einen Großteil der Schlangenbisse. 

Vermeidung von Spätfolgen unklar

Lüddecke kritisiert zudem, dass die Studie ausschließlich den lebensrettenden Effekt des Gegengifts in den Fokus rückt. Es gibt jedoch oft lebenslange körperliche Einschränkungen durch Schlangengifte. Trotzdem lobt der Experte, dass die Studie die vielversprechendsten Ansätze zur Entwicklung moderner Wirkstoffe gegen Schlangenbisse miteinander verbindet.

Das betont auch Michael Hust von der Technischen Universität Braunschweig. «Mit dem in der Studie vorgestellten Cocktail aus diesen zwei Antikörpern und dem Enzym-Inhibitor besteht eine große Chance, Tierseren, die zahlreiche Nebenwirkungen haben, mit einem gentechnisch hergestellten Produkt zu ersetzen.»

Das Team hat das Ziel, langfristig ein oder mehrere Universalmittel zu entwickeln, das sowohl Giftnattern als auch Vipern abdeckt. Laut dem Forschungsteam sterben jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen an den Folgen von Schlangenbissen, während 300.000 weitere dauerhafte Behinderungen erleiden, wie Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen.

dpa