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Das Eigenbrauer-Syndrom: Betrunken ohne Alkohol, schwer zu erkennen

Für Betroffene eine Herausforderung mit sozialen, rechtlichen und medizinischen Konsequenzen. Diagnose oft erst nach Jahren gestellt.

In Belgien ist kürzlich ein am Eigenbrauer-Syndrom leidender Mann vom Vorwurf der Trunkenheit am Steuer freigesprochen worden.
Foto: Sven Hoppe/dpa

Betrunken sein, ohne Alkohol getrunken zu haben – das gibt es tatsächlich. Eigenbrauer-Syndrom wird das Phänomen genannt, das zum Beispiel vor Verkehrsgerichten schon mehrfach eine Rolle spielte. Für Betroffene könne das Phänomen eine schwere Belastung sein, weil es meist nicht direkt erkannt werde, schreibt ein Medizinerteam im «Canadian Medical Association Journal». Die Diagnose werde häufig erst mit jahrelanger Verzögerung gestellt.

«Das Eigenbrauer-Syndrom hat erhebliche soziale, rechtliche und medizinische Folgen für die Patienten und ihre Angehörigen», schreibt die Gruppe um Rahel Zewude von der University of Toronto. Berichtet wird über eine Frau in Kanada, die mehrfach wegen extremer Tagesmüdigkeit und undeutlicher Sprache in die Notaufnahme kam. Sie habe jedes Mal eine schlimme Alkoholvergiftung mit erhöhten Blutalkoholwerten und Alkohol im Atem gehabt – und jedes Mal angegeben, keinen Alkohol getrunken zu haben.

Die verheiratete und Mutter sei von Internisten und Psychiatern aus dem Bereich der Suchtmedizin untersucht worden und nach jedem Klinikbesuch ein bis zwei Wochen arbeitsunfähig gewesen, aufgrund von anhaltender Lethargie und Übermüdung. Erst beim siebten Besuch sei das Eigenbrauer-Syndrom (englisch: Auto-Brewery Syndrome) als mögliche Diagnose für die 50-Jährige in Betracht gezogen worden.

Ursache: Überwucherung der Darmflora durch Pilze

Es wird angenommen, dass die seltene Erkrankung durch eine Überwucherung der normalen Darmflora mit Pilzen verursacht wird, die Alkohol aus Kohlenhydraten durch Gärung erzeugen. Laut der Studie besteht ein möglicher Zusammenhang zu anderen Krankheiten wie Diabetes oder Leberproblemen sowie einer erblichen Komponente. Häufig beteiligte Pilze sind Saccharomyces cerevisiae und bestimmte Candida-Arten wie C. albicans, wobei auch Bakterien eine Rolle spielen können.

Im vorliegenden Fall hatte die Frau aufgrund wiederkehrender Harnwegsinfektionen mehrere Antibiotika sowie einen Protonenpumpenhemmer gegen Magenbeschwerden eingenommen. Einige Zeit später begann sie unter exzessiver Schläfrigkeit mit plötzlichem Einschlafen während der Arbeit oder beim Zubereiten von Mahlzeiten zu leiden. Daraufhin erfolgten die Klinikeinweisungen.

Nach der Diagnose erhielt sie antimykotische Medikamente zur Behandlung, außerdem wurde ihr geraten, sich kohlenhydratarm zu ernähren. Nach einer Weile verschwanden die Symptome dauerhaft.

Einem Verdacht auf das Eigenbrauer-Syndrom solle frühzeitig nachgegangen werden, empfehlen die Mediziner, «da Verzögerungen bei der Behandlung die körperlichen, sozialen und finanziellen Folgen verlängern können». Ein standardisiertes Diagnoseverfahren gebe es allerdings bisher nicht. Für die Therapie gibt das Team zu bedenken, dass – wie auch im vorgestellten Fall – mit Rückfällen nach dem Absetzen der Antimykotika zu rechnen ist.

Freisprüche in Gerichtsverfahren

In Belgien wurde vor kurzem ein Mann, der wahrscheinlich am Eigenbrauer-Syndrom leidet, vom Vorwurf der Trunkenheit am Steuer freigesprochen. Ein Rechtsmediziner bestätigte, dass das Syndrom höchstwahrscheinlich vorliegt. Es gab bereits mehrere ähnliche Fälle in den USA.

Auch bei gesunden Menschen entsteht während der Verdauung laut Wissenschaftlern Alkohol – genauer gesagt Ethanol – jedoch nur in geringen Mengen. Experten vermuten, dass es eine recht hohe Dunkelziffer nicht erkannter Fälle des Eigenbrauer-Syndroms gibt. Manchmal entsteht der Verdacht, es könne sich um heimliche Alkoholiker handeln.

dpa