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Es war einmal das Huhn – Wissenswertes um Ei und Gackertier

«Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn», heißt es in einem alten Schlager. Ein modernes Industriehuhn allerdings sicher eher nicht. Fakten um die ebenso faszinierenden wie gequälten Eierlieferanten.

Lege- und Masthühner sind meist schmucklos weiß. (Archivbild)
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Dieser Tage entsteht wieder viel Kunst ums Ei: Tausendfach werden die Hühnerprodukte bunt bemalt und eingefärbt. Höchste Zeit, sich mehr mit den gackernden Osterboten zu beschäftigen. Im aktuell erschienenen Buch «Es war einmal das Huhn» gibt die Biologin Astrid Drapela Auskunft. Wussten Sie zum Beispiel, dass … ?

Moderne Hühner sind Eierlegemaschinen

Ein Legehuhn legt bis zu 300 Eier pro Jahr. Laut Drapela stammen immer noch etwa 85 Prozent der Eier aus Käfighaltung. Im Vergleich dazu legt die Wildform des Huhns maximal 5 bis 15 Eier pro Jahr.

Hühner gibt es wie Sand am Meer

Zumindest sind es extrem viele. «Aktuell geht man von etwa 34 Milliarden Hühnern aus, die zu jedem Zeitpunkt auf der Erde leben – wenn auch meist nicht lange», heißt es im Buch. Das Huhn ist demnach das häufigste Landwirbeltier der Erde – und das kulinarisch beliebteste. Hühner gibt es auf allen Kontinenten außer dem Südpol, Hühnerfleisch wird in so gut wie allen Kulturen verzehrt. Weltweit werden täglich Abermillionen geschlachtet.

Das Huhn schuf Berufe

In der Römerzeit wurde zunehmend Geschmack an Hühnerfleisch und Eiern gefunden, vor den Städten entstanden spezialisierte Höfe. «Aus dieser Zeit stammen wohl auch der Beruf des Schlachters und Fleischhauers und die Erfindung des Fleischbeils», so Drapela. «Der Erwerb von Fleisch(stücken) über Märkte in den Städten führte wiederum zu einer Entfremdung von Mensch und Tier: Tiere wurden zu Ware, Landwirtschaft wurde zu Wissenschaft.»

Was der Begriff «Cockpit» mit dem Huhn zu tun hat

Eine Version lautet Drapela zufolge: Hähne wurden und werden in vielen Ländern für schauderhafte Kämpfe aufeinander gejagt. Dafür gab es bei den Briten tiefergelegte Arenen – englisch «cockpit», Hahnengrube. Auf alten britischen Segelschiffen wiederum liegt hinter dem Steuerrad oft eine Vertiefung. Während eines Kampfes wurden dort die Verwundeten abgelegt – was Zeitzeugen an die «cockpits» zu Hause erinnerte.

«Da an dieser Stelle ansonsten der Steuermann stand, hieß dieser Platz, und später dann alle Orte, von denen aus ein Fahrzeug gesteuert wird, Cockpit.» Eine andere Version lautet, dass der Platz so genannt wurde, weil dort auf Schiffen zum Zeitvertreib Hähne aufeinander losgelassen wurden.

Maximal brutal

Das weltweit größte Hahnenkampf-Event gibt es dem Buch zufolge auf den Philippinen: Beim Slasher-Cup-Wettbewerb fließt über fünf Tage verteilt bei rund 650 Kämpfen viel Blut. «Die Wetten reichen von ein paar Hundert zu Zigtausenden Dollar pro Kampf.» Auf den Rängen werden Geschäftsbeziehungen gepflegt und politische Entscheidungen getroffen, wie auf den Golfplätzen der USA oder Europas.

Das Huhn im Sport

Der Hahn fand als Symbol für Männlichkeit und Angriffslust Verwendung im Sport. Beispielsweise ist er auf Trikots des britischen Fußballvereins Tottenham Hotspurs (deutsch: Heißsporne), des italienischen SSC Bari (Fußball), der Iserlohn Roosters (Eishockey) und der Sydney Roosters (Rugby) zu sehen. Die Tottenham Hotspurs, gegründet im Jahr 1882, spielten auf den früheren Ländereien von Lord Harry Hotspur, einem Ritter aus dem 14. Jahrhundert, wie Drapela erklärt. Bei der Gründung entschied man sich jedoch gegen die Darstellung eines Ritters und für die eines archetypischen Kampfhahns mit Metallsporn.

Das Huhn, das aus den Tropen kam

Das Haushuhn stammt wahrscheinlich vom südostasiatischen Bankivahuhn ab und war ursprünglich ein tropischer Vogel. Die wilden Vorfahren sind gute Flieger und Gleiter und wesentlich kleiner als das heutige Durchschnittshuhn: Die Hähne wiegen nicht mehr als ein Kilogramm, die Hennen noch weniger.

Das Huhn als Exot

Von Asien nach Europa gelangten Hühner schon vor langer Zeit, die ältesten in Italien gefundenen Hühner wurden zum Beispiel auf das 8. bis 6. Jahrhundert vor Christus bestimmt. Schon bei den Etruskern dürften vor allem die Hähne als Luxusgüter der Elite großen Eindruck hinterlassen haben, wie es im Buch heißt. «Die damaligen Hähne waren zwar klein, aber wohl genauso sexuell hyperaktiv, polygam, inzestuös, unerbittlich laut und überaus kampfwillig gegenüber ihresgleichen wie die von heute.» In vielen Ländern war das Schlachten von Hühnern lange Zeit per Gesetz verboten oder tabuisiert.

Hippes Hühnerhalten

Im Zuge der Corona-Pandemie hat die private Hühnerhaltung neuen Aufschwung bekommen. Aber schon Queen Victoria (1819 bis 1901) war Hühnerliebhaberin und «ultimative Trendsetterin». Im 18. und 19. Jahrhundert war Hühnerzucht hip – was für das Huhn letztendlich verheerende Folgen haben sollte: Es ging – zunächst in den USA – plötzlich vor allem darum, für die industrialisierte Massenhaltung geeignete, immer schneller heranwachsende Tiere zu kreieren.

Wie das Huhn seine Farbe verlor

Beim Huhn gibt es viele verschiedene Farben, Größen und Formen, weltweit sind etwa 1.600 Hühnerrassen registriert. Lege- und Masthühner sind jedoch meist einfach weiß. „Helle Haut und weiße Federn sind bei den Verbrauchern der Massentierhaltung beliebter“, erklärt Drapela. Außerdem machen schlecht gerupfte Hühner anscheinend einen besseren Eindruck, wenn sie hell sind.

Bewegungsunfähige Giganto-Küken

Heutige Broiler sind so sehr auf schnelles Wachstum gezüchtet, dass sie noch im Kükenalter geschlachtet werden. Das Haushuhn ist «das einzige Nutztier, das sein Schlachtgewicht von 1,5 Kilogramm in fünf Wochen erreicht und somit sein Schlüpfgewicht verfünfzigfacht», heißt es im Buch. Die Tiere länger leben zu lassen, ginge gar nicht, da sie bei Überschreitung des vorgesehenen Schlachtalters nicht mehr gehen können. Rettungsversuche von Tierfreunden scheiterten Drapela zufolge, weil Broiler das Wachstum nie einstellen und spätestens mit einem Gewicht von etwa fünf Kilogramm an Organversagen oder Aortenriss sterben.

Fatale Liebe zu Fleisch

Rund 75 Milliarden Broiler wurden im Jahr 2022 weltweit geschlachtet. Im Durchschnitt sind das rund 140.000 Hühner pro Minute, rechnet Drapela vor. Die Zahl hat sich seit Anfang der 1960er-Jahre verzehnfacht. «Geschätzte 16,8 Milliarden Masthühner landen jährlich nicht auf dem Teller, sondern im Müll oder sterben bereits vor der Schlachtung.»

Hühnergott und Hahnenstein

Es gibt wenige Völker in Westafrika, für die das Huhn nicht das wichtigste Opfertier ist, oft wird es als Orakel verwendet. Auch in Europa half es lange bei der Zukunftsdeutung – wie unter anderem das «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» belegt. Wo und wann der Hahn krähte, wies zum Beispiel auf das anstehende Wetter hin. Das Krähen vertrieb zudem Dämonen, störte den Teufel, verjagte Hexen und Gespenster, wie es im Buch heißt. «Wenn kein Hahn mehr nach jemandem krähen kann, dann ist jede Hilfe aussichtslos.»Ein Garant für großes Unheil war auch das sogenannte Hahnenei, ein ganz besonders kleines Ei, meist ohne Dotter. Als Glücksbringer hingegen galt der Hühnergott: ein Stein mit natürlich entstandenem Loch, wie er heute noch am Ostseestrand zu finden ist.

Das Huhn als Medikament

Im alten Europa gab es interessante Heilbehandlungen – auch mit Huhn als Ingredienz. Um Melancholie und Wahnsinn bei Frauen zu heilen, sollte zum Beispiel eine lebendig der Länge nach halbierte schwarze Henne auf deren Kopf platziert werden, wie Drapela schildert. Und schon der Arzt Maimonides pries im 12. Jahrhundert Hühnersuppe als Medizin gegen fast alles – von Asthma bis Lepra. «Viele amerikanische Präsidenten wurden in ihren letzten Atemzügen noch mit Hühnersuppe therapiert: Bei Harrisons Typhuserkrankung sowie Garfields und McKinleys Schussverletzungen war diese Behandlung leider erfolglos.»

An der heilenden Wirkung von Hühnersuppe wird bis heute kaum gezweifelt. Tatsächlich fördert sie laut Studien die Durchblutung und lindert Angst- und Spannungszustände, wie es im Buch steht. Die Frage, ob Hühnersuppe tatsächlich bei Erkältungen hilft, war und ist daher umstritten. Ein kleines Extra am Rande: Hühnersuppe begleitete gefriergetrocknet die ersten Astronauten auf den Mond.

Das Huhn der Zukunft

Es liegt an Politik und Gesellschaft, wie lange Qualzucht-Hochleistungshühner noch existieren. Im Buch werden die Rondell-Methode und das niederländische Start-up Kipster als positive Beispiele genannt, die Industrie-Hühnern ein besseres Leben mit Sitzstangen, Sandbädern und Auslauf ermöglichen.

dpa