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Fake-Tipps auf Tiktok: Ärzte warnen vor gefährlichen Trends

Wie gefährlich können Gesundheits-Influencer sein? Experten warnen vor Desinformation und fordern strengere Regeln auf Instagram und Tiktok.

Jasper Iske will mit seinen Videos falsche Versprechen von Influencern entlarven.
Foto: Soeren Stache/dpa

Eigenurin gegen Halsschmerzen, Power-Pflaster für mehr Energie und Vitamine gegen Unfruchtbarkeit: In sozialen Medien versprechen selbst ernannte Gesundheits-Influencer oft das Blaue vom Himmel. Der Berliner Arzt Jasper Iske fragt sich da immer wieder: «Boah, was erzählen die Leute eigentlich für einen Mist?» In seinen Instagram- und TikTok-Videos nimmt Iske solche Influencer aufs Korn – und zerlegt deren teils haarsträubende Behauptungen mit medizinischem Sachverstand und satirischem Biss.

Comedy mit ernster Botschaft

Was bei Iske nach Comedy aussieht, hat einen ernsten Hintergrund: Er will aufzeigen, dass Marketing und Reichweite oft wichtiger sind als wissenschaftlich belegte Wirksamkeit. Anti-Aging-Produkte sind ihm ein besonderer Dorn im Auge. «Das ist alles sinnlos, es hat keinen Effekt – alles Müll», sagt der Arzt am Deutschen Herzzentrum Berlin, der selbst in der Anti-Aging-Forschung für transplantierte Organe tätig ist. Der Mediziner erforscht Möglichkeiten, den Alterungsprozess von Organen zu verlangsamen oder zu stoppen.

Was ihn auch ärgert: Influencer, die sich als medizinisches Personal bezeichnen, aber noch keine Ausbildung beendet haben, wie zum Beispiel «angehende Ärzte». «Das ist man ja auch schon mit 18, wenn man die Immatrikulationsbescheinigung für ein Medizinstudium in der Hand hat», sagt er. 

Mit nüchternen Fakten komme man gegen die Welle der Desinformation und Schwurbelei im Netz nicht an, meint der 30-Jährige. Ein zugespitztes, Social-Media-taugliches Format sorge eher für Aufmerksamkeit, sagt der Wissenschaftler, der auch mal fragt: «Wollt Ihr mich verarschen?»

Zwischen Aufklärung und Kommerz

Der Arzt entdeckte seine Leidenschaft für Videos bereits als Student, als er Urlaubsclips schnitt. Jetzt dreht er seine Clips in seiner Freizeit im Krankenhaus.

Iske ist nicht allein mit seinem Anliegen. «Einige Kanäle werden von echten Ärztinnen und Ärzten betrieben, die mit viel Herzblut gegen die Flut unseriöser Angebote ankämpfen», sagt Gesa Schölgens vom Faktencheck Gesundheitswerbung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Diesen seriösen Influencern stünden zahlreiche Mediziner gegenüber, die unzulässig für Produkte wie Trackinguhren, Hormontests oder Vitamininfusionen werben.

Baby-Darmkuren und Krebstherapie mit Aprikosenkernen

Die Verbraucherzentrale beobachtet laut Schölgens einen bedenklichen Trend: Viele Healthfluencer, die von Verbrauchern gemeldet werden, agieren nicht nur aus kommerziellem Interesse. Sie machten zudem auch Gesundheitsversprechen für Produkte und «Behandlungen», die rechtlich unzulässig und teils gefährlich seien – von Baby-Darmkuren über selbstgemachte Sonnencreme bis hin zu angeblichen Krebstherapien mit Aprikosenkernen.

Besonders kritisch sieht Schölgens Influencer mit großer Reichweite, die gefährliche Fehlinformationen verbreiten. «Wenn jemand mit 300.000 Followern behauptet, es gäbe keine Depressionen – man solle lieber ein Coaching bei ihm buchen und Tabak aus dem Regenwald rauchen –, dann ist das hochgefährlich.»

Esoterische Desinformationen 

«Außerdem beobachten wir eine große Esoterik-Bubble», sagt die Expertin. Diese verbreite nicht nur irreführende Gesundheitswerbung, sondern auch Verschwörungstheorien und Desinformationen. Da gehe es zum Beispiel um «Vergiftung durchs Impfen», «Vergiftung durch fluoridhaltige Zahnpasta» oder «Kontrolle der Bevölkerung durch das System» – wie die Pharmaindustrie, die Politik und die Medien.

Chancen und Verantwortung für Ärzte

Auch die Bundesärztekammer (BÄK) betrachtet die digitale Gesundheitskommunikation als zweischneidiges Schwert. „Sie kann ein wertvoller Beitrag zur Gesundheitsbildung leisten – vorausgesetzt, sie erfolgt verantwortungsvoll, transparent und im Einklang mit berufsethischen Standards“, sagt Samir Rabbata, Leiter des Dezernats Politik und Kommunikation.

„Die Ansprache jüngerer Zielgruppen bietet die Möglichkeit, die Gesundheitskompetenz frühzeitig zu stärken und präventives Verhalten zu fördern. Klare, evidenzbasierte Inhalte könnten eine große Anzahl von Menschen erreichen und das Bewusstsein für Prävention und Früherkennung steigern.“

Rabbata warnt gleichzeitig vor Risiken: Vereinfachte, verkürzte oder falsche Darstellungen könnten zu Missverständnissen und gesundheitsschädlichen Entscheidungen führen – wie beispielsweise falscher Selbstbehandlung -, verzögerten Arztbesuchen oder unnötigen Tests.

Junge Zielgruppen besonders empfänglich

Claudia Lampert vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung berichtet, dass laut einer österreichischen Studie 83 Prozent der 15- bis 25-Jährigen zumindest gelegentlich gesundheitsbezogene Inhalte von Influencern konsumieren. 37 Prozent folgen aktiv Healthfluencern und 31 Prozent der Befragten haben bereits ein Gesundheitsprodukt gekauft, das von einem Influencer beworben wurde.

Es wurden ungefähr 1.000 Jugendliche und junge Erwachsene befragt. Laut Kommunikationsforscherin Lampert gibt es jedoch bisher kaum belastbare Studien zur tatsächlichen Wirkung solcher Inhalte.

Leitfaden für Ärzte in sozialen Medien

Um medizinisches Fachpersonal im Umgang mit sozialen Medien zu unterstützen, hat die Bundesärztekammer den Leitfaden «Ärztinnen und Ärzte in sozialen Medien» veröffentlicht. Für die Nutzer der Inhalte auf Tiktok & Co. gibt es hingegen keine vergleichbare Hilfe: «Das Erkennen seriöser Inhalte ist herausfordernd – besonders wenn die Versprechen verlockend klingen, etwa Abnehmen ohne Verzicht oder Aufwand», sagt Lampert. «Solche Aussagen sollten immer skeptisch machen.» Ein Problem ist aus ihrer Sicht, dass es bisher keine verlässlichen Qualitätsstandards für Gesundheitsinformationen gibt, die über soziale Medien verbreitet werden. 

Die Verbraucherzentrale NRW fordert umfassende Maßnahmen, um Nutzer besser vor unseriösen Gesundheitsversprechen in sozialen Medien zu schützen. Dazu gehören unter anderem klare gesetzliche Rahmenbedingungen für Influencer-Werbung, eine eindeutige Verantwortlichkeit derjenigen, die gesundheitsbezogene Inhalte posten, sowie eine schnelle und konsequente Bestrafung bei gesundheitsgefährdenden Aussagen – inklusive Account-Sperrungen durch die Plattformbetreiber.

dpa