Fake News hindern Mädchen am politischen Engagement und beeinflussen ihr Selbstwertgefühl. Gleichberechtigung im Netz bleibt eine Herausforderung.
Soziale Medien und Mädchen: Zwischen Druck und Emanzipation
Welche Bedeutung haben soziale Medien im Leben von Mädchen? Sind sie eher einschränkender Käfig oder unterstützendes Sprachrohr? Instagram-Filter, Tiktok-Trends und Influencerinnen setzen Mädchen unter Druck, schön, schlank und perfekt zu erscheinen. Gleichzeitig bieten die Plattformen Räume, in denen Mädchen ihre Stimme erheben, Gleichgesinnte finden und Missstände aufzeigen können. Fragen zum Weltmädchentag am 11. Oktober:
Gibt es Gleichberechtigung im Netz?
Für den Weltmädchenbericht 2021 hat die Kinderrechtsorganisation Plan International 26.000 Mädchen und junge Frauen in 26 Ländern der Welt zu ihren Erfahrungen mit Falschnachrichten im Internet befragt. Das Ergebnis: Fake News – Falschnachrichten, die hauptsächlich in sozialen Netzwerken verbreitet werden – hindern Mädchen daran, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren.
«Sie sind ein maßgeblicher Grund dafür, dass sie ihre Meinungen nicht mehr in Social Media teilen wollen. Wenn Mädchen sich aus Angst vor Falschinformationen, Hass oder Anfeindungen aus dem digitalen Raum zurückziehen, hat das direkte Auswirkungen auf die Gleichberechtigung», erklärt Pia Arndt von Plan International Deutschland.
Es gebe keine Gleichberechtigung im Netz, sagt Rüdiger Maas, Psychologe, Generationenforscher und Leiter des Instituts für Generationenforschung. «Das Netz potenziert nur alles, was wir in der analogen Welt haben.» So verbreiteten sich Hassnachrichten im Netz schneller als in der realen Welt. Etwa 70 Prozent der Mädchen und Frauen im Netz hätten dort Gewalt erfahren, im weitesten Sinne auch durch sogenanntes Bodyshaming.
Wer sich nicht traut, wird unsichtbar?
Wer sich nicht traue, seine Meinung zu äußern oder sich politisch zu engagieren, werde aus wichtigen gesellschaftlichen Diskursen ausgeschlossen, gibt Arndt zu bedenken. «Mädchen und junge Frauen verlieren dadurch nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Einfluss – etwa bei Themen, die sie unmittelbar betreffen: Bildung, Gleichstellung, reproduktive Rechte, Klimaschutz oder digitale Gewalt.»
Das digitale Schweigen resultiere in Ungleichgewicht: Während sich viele Jungen und Männer lautstark äußerten – und dafür oft weniger sanktioniert würden -, fehlten weibliche Perspektiven. «Wenn Mädchen verstummen, leidet die Demokratie. Und Gleichberechtigung rückt in noch weitere Ferne», erklärt Arndt.
Verstärken soziale Medien den Druck auf Mädchen oder geben sie ihnen eine Stimme?
Plan International zufolge sind Social Media Spiegel und Vergleichsplattform, junge Mädchen messen sich dort oft an unrealistischen Idealen. «Das kann zu Unsicherheiten, geringem Selbstwertgefühl und dem Druck führen, sich anzupassen oder perfekt zu erscheinen», sagt Arndt. Neueste Umfragen zeigten, dass die intensive Nutzung sozialer Medien mit einem Anstieg von Essstörungen in Verbindung stehe und unterschiedliche Auswirkungen auf die Psyche haben könne.
Aus Sicht von Maas neigen Mädchen eher dazu, sich Schönheitsideale im Netz zu suchen. Und bekommen vielfach Menschen zu sehen, die weitaus schöner zu sein scheinen als man selbst. Zentral für den Umgang damit sei die Persönlichkeit. «Wir wissen nicht, mit welchem Selbstwertgefühl jemand ins Netz geht», sagt Maas.
Laut Plan International können Communitys wiederum das Selbstbewusstsein von Mädchen stärken und Social Media als ein Werkzeug dienen, um sich zu vernetzen und einzubringen. «Wichtig ist dabei ein gesunder, reflektierter Umgang mit den sozialen Medien und die bewusste Entscheidung, wem man folgt und was man konsumiert», sagt Arndt.
Wie wirken sich Rollenbilder im Netz auf die Gleichberechtigung aus?
Arndt zufolge werden in sozialen Medien oft stereotype Frauenbilder verbreitet, die sich an traditionellen Rollen, Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Erwartungen orientieren. Trends wie #TradWives oder #stayathomegirlfriends zeigen, wie stark traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit wieder in den Fokus rücken. Frauen präsentieren sich dabei als Hausfrauen, Mütter und Fürsorgerinnen, oft idealisiert. Plattformen verstärken diese Bilder, indem sie bestimmte äußerliche Merkmale, Statussymbole und inszenierte Lebensstile besonders hervorheben.
Besonders problematisch sind Plan International zufolge antifeministische Bewegungen und toxische Männlichkeitsideale, die sich in Online-Communities wie den «Incels» verbreiten. «Incel» ist ein Kofferwort aus involuntary und celibate (unfreiwillig sexuell enthaltsam/zölibatär). «Sie propagieren frauenfeindliche Narrative, lehnen Gleichberechtigung ab und zementieren starre Rollenbilder. Diese Ideologien fördern ein verzerrtes Männerbild und gefährden letztlich nicht nur Frauen, sondern auch Jungen und Männer, die unter diesem Druck leiden», sagt Arndt.
Verstärken soziale Medien Schönheitsideale bei Mädchen stärker als bei Jungen?
Laut Plan International beeinflussen soziale Medien alle Geschlechter. Der Leistungs- und Optimierungsdruck sei real. Dies geschehe vor allem durch die ständige Wiederholung und Sichtbarkeit bestimmter Bilder und Normen. Junge Nutzer vergleichen sich mit Influencern, Freunden und den in sozialen Medien inszenierten Idealen. «Gerade im Jugendalter, in dem viele auf der Suche nach Vorbildern, Orientierung und einem Gefühl für die eigene Identität sind, können solche Inhalte besonders wirkungsvoll und leider auch problematisch sein», sagt Arndt.
Maas betont jedoch, dass Männer nicht in der gleichen Weise wie Frauen mit Models verglichen werden können. Außerdem seien sie oft weniger verletzlich.
Was ist der Welt-Mädchentag?
Plan International hat die Vereinten Nationen dazu gebracht, den 11. Oktober 2012 erstmals als Weltmädchentag zu erklären. Seitdem nutzt die Organisation diesen Tag jedes Jahr, um die Situation von Mädchen weltweit ins Rampenlicht zu rücken. Im Jahr 2025 liegt ein besonderer Schwerpunkt auf dem Schutz von Mädchen vor Früh- und Zwangsverheiratung.
Bei der pinkfarbenen Beleuchtung handelt es sich um eine Tradition: Am Abend des 11. Oktober macht Plan International in ganz Deutschland durch die Illuminierung bekannter Wahrzeichen und Gebäude auf die Rechte von Mädchen aufmerksam. Auch in diesem Jahr beteiligen sich wieder zahlreiche Städte und Gemeinden an der Beleuchtungsaktion. Allein in Hamburg sollen zehn bekannte Wahrzeichen in Pink erstrahlen – darunter der Hamburger Michel, das Altonaer Rathaus und das HSV-Stadion.