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Forschung zu Fleischverzicht, Fleischersatz und Fitness

Immer mehr Menschen verzichten ganz oder teilweise auf Fleisch. Aber unklar ist, wie sich das auf die Gesundheit auswirkt. Eine große Studie will das untersuchen – und ist offen für Überraschungen.

Lea Böckstiegel ist Probandin bei der bislang größten Studie zu pflanzenbasierter Ernährung im deutschsprachigen Raum.
Foto: Uli Deck/dpa

Beide Beine auf dem Boden, nicht am Stuhl anlehnen, den Arm anwinkeln und dann kräftig mit der Hand zudrücken. So sehr, dass es zittert. Lea Böckstiegel hält ein Hand-Dynamometer, das die Griffstärke misst – ein Indikator für die gesamte Muskelstärke. Sie ist Probandin bei der bislang größten Studie zu pflanzenbasierter Ernährung im deutschsprachigen Raum. Seit etwa vier Jahren lebt Böckstiegel vegetarisch, verzichtet auf Fleisch und Fisch. Und will nun viel über ihr Leben, ihre Gesundheit und Essgewohnheiten preisgeben: umfassend und grammgenau. «Ich wollte schon immer an so einer Studie teilnehmen.»

Das kommt nicht von ungefähr: Böckstiegel arbeitet am Max Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe. Es ist eines von acht Forschungszentren der sogenannten Coplant-Studie. Das sei aber nicht der Grund für die Teilnahme, sagt Böckstiegel: «Ich finde den Inhalt der Studie spannend.» 

Die Forschenden wollen herausfinden, welche Auswirkungen die Ernährung auf Gesundheit und Fitness hat. Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren natürlich die Details: Ist der rechte Arm kräftiger als der linke? Wie sieht das große Blutbild aus – auch im Vergleich zu Referenzwerten? «Solche Laborwerte kriegt man sonst nur vom Arzt», sagt Böckstiegel.

Wenig wissenschaftliche Fakten

Im Internet und in Bibliotheken findet man viele Ernährungstipps und vermeintliche Erkenntnisse darüber, wie sich verschiedene Ernährungsweisen auf den Körper und Leistungssport auswirken. Blogger, Magazine und Krankenkassen beteiligen sich daran. Allerdings gibt es nur wenige wissenschaftlich fundierte Daten zu veganer und vegetarischer Ernährung, obwohl das Interesse daran kontinuierlich steigt.

«Wer sich vorwiegend pflanzlich ernährt, hat ein geringeres Risiko für viele chronische Erkrankungen. Ob dies auch für eine vegane Kost gilt, ist bisher nicht ausreichend untersucht», sagt Benedikt Merz, Leiter der Coplant-Studie am MRI. Bei größeren Querschnittsstudien seien Veganer oft nicht eingeschlossen gewesen.

«Außerdem stehen wir mit der leichten Verfügbarkeit von hochverarbeiteten pflanzlichen Ersatzprodukten vor einer ganz neuen Situation.» Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat im Zuge einer Studie zum 14. DGE-Ernährungsbericht festgestellt, dass es weiteren Forschungsbedarf gibt.

Frauen und Junge beim Fleischverzicht führend

Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) aus dem vergangenen Jahr bezeichnen sich etwa vier von zehn Menschen als Flexitarier, was bedeutet, dass sie ihren Fleischkonsum bewusst einschränken. Neun Prozent der Bevölkerung ernähren sich vegetarisch, indem sie auf Fleisch und Fisch verzichten, aber nicht auf Eier oder Milch und daraus hergestellte Produkte. Drei Prozent leben vegan und konsumieren überhaupt keine tierischen Produkte. Besonders deutlich wird der Verzicht auf Fleisch bei Frauen und jungen Menschen unter 30 Jahren, wie aus der Umfrage hervorgeht.

Es ist wenig überraschend, dass der Fleischverzehr in Deutschland laut vorläufigen Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im vergangenen Jahr auf 51,6 Kilogramm pro Kopf gesunken ist. Vor zehn Jahren waren es noch 61,6 Kilogramm.

Das Angebot an Fleischersatzprodukten, Pflanzendrinks und anderen veganen Lebensmitteln ist so groß wie nie zuvor. Die Forschenden möchten mit der Coplant-Studie herausfinden, wie sich der Verzehr dieser Produkte langfristig auf den Körper auswirkt, was im Stoffwechsel passiert, wenn ausschließlich pflanzliche Lebensmittel konsumiert werden, und welche Ernährungsweise am gesündesten und nachhaltigsten ist.

Laut Merz vom MRI sind die Auswirkungen einzelner Inhaltsstoffe der Ersatzprodukte zwar bekannt, jedoch wird die Situation durch das Zusammenspiel und die Langzeitwirkung komplexer.

6000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen gesucht

Koordiniert vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sollen bis 2027 insgesamt 6000 Probandinnen und Probanden im Alter von 18 und 69 Jahren für die Studie gefunden werden, die sich vegan, vegetarisch, pescetarisch (Fisch, aber kein Fleisch) oder gemischt ernähren. In Karlsruhe sollen auch Schwangere, Stillende und Kinder einbezogen werden.

Erwachsene müssen sich auf zwei mehrstündige Untersuchungen vorbereiten, die eine Blutabnahme, die Messung der Knochendichte sowie Urin- und Speichelproben beinhalten. Es werden Nährstoffaufnahme, Schwermetalle, Schimmelpilzgifte und die Analyse des Mikrobioms im Darm untersucht. Zusätzlich müssen sie über eine App für einige Tage detaillierte Ernährungsdaten sammeln. Dazu gehört beispielsweise die Angabe, ob rohe oder gekochte Möhren gegessen werden und die genaue Messung der Grammzahl von Äpfeln im Müsli mit einer Küchenwaage.

Merz geht davon aus, dass Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer im Laufe der zwei Jahrzehnte, während derer sie alle paar Jahre befragt und untersucht werden sollen, auch mal ihre Ernährungsweise wechseln. «Die Realität ist, dass man Ernährungsformen ändert.» Für die Wissenschaft sei das kein Problem – denn auch daraus ließen sich Erkenntnisse gewinnen. Dass Thesen und ältere Fakten überworfen werden, gehöre ebenso dazu: So hätten Vorstudien gezeigt, dass ein Mangel an Vitamin B12 bei Veganern kein großes Thema mehr sei, sagt Merz. Viele wüssten von der Problematik und nähmen Nahrungsergänzungsmittel.

Dass fleischfreie Ernährung im Jahr 2024 immer noch ein Diskussionsthema ist, erlebt Probandin Böckstiegel, wenn sie nach Hause kommt: «Meine Oma fragt dann, was sie jetzt bloß zu Essen machen soll.» Beim Grillen sei ihre Familie so offen, dass sie nicht nur fleischfreie Würstchen-Varianten auf den Rost legt – sondern auch selbst mal probiert.

dpa