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Die Entwicklung von Covid-19 in Deutschland seit 2019

Die Sterblichkeit hat sich durch Impfungen und überstandene Infektionen deutlich verringert, aber Langzeitfolgen treten noch häufig auf.

Was war und was bleibt von der Corona-Pandemie? (Archivbild)
Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Bereits im November 2019 gab es in China Fälle jener mysteriösen Lungenerkrankung, die später den Namen Covid-19 erhielt. Die ersten Infektionen wurden Anfang Dezember in der Metropole Wuhan offiziell registriert, in Deutschland wurde der erste Fall am 27. Januar 2020 bekannt. Was damals auf Deutschland zukam, konnte wohl kaum jemand erahnen. Wie sieht die Lage heute aus, fünf Jahre später?

Muss man sich noch Sorgen machen?

«Covid ist immer noch keine normale Erkältung», sagt der Berliner Virologe Christian Drosten. «Viele Patienten fühlen sich sehr krank, wenn sie infiziert sind.» Die Sterblichkeit habe sich aber aufgrund der Immunität durch Impfungen und überstandene Infektionen deutlich verringert, sie sei nun etwa so hoch wie bei der Grippe.

Gemäß dem Robert Koch-Institut (RKI) treten schwere Covid-19-Verläufe deutlich seltener auf als noch 2020 und 2021. Laut Carsten Watzl von der TU Dortmund sind in der Regel Menschen betroffen, die aufgrund einer Vorerkrankung oder einer Organtransplantation ein geschwächtes Immunsystem haben.

Ist Impfen gegen Corona noch nötig?

Wie bei der Grippe wird vor allem bestimmten Gruppen dazu geraten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Menschen ab 60 Jahren und Erwachsenen mit Grunderkrankungen, sich jeweils im Herbst eine Corona-Auffrischungsimpfung zu holen. «Wer jünger ist, sollte wissen: Der Hausarzt hat einen großen Ermessensspielraum bei der Impfentscheidung», so Drosten.

Die Impfstoffe werden regelmäßig an neu auftretende Varianten angepasst – die es bei Sars-CoV-2 immer noch häufiger gibt als bei anderen Coronaviren, wie Watzl erläutert. «Evolutionär ist das Virus noch ein Baby», erklärt der Immunologe. «Seine optimale Anpassung hat es noch nicht gefunden.»

«Ich kann mir gut vorstellen, dass auch dieser Erreger sich nach einigen weiteren Jahren beruhigt», ergänzt Drosten. «Aber vielleicht sind es auch Jahrzehnte.» Dass noch einmal eine Variante entsteht, die deutlich schlimmere Krankheitsverläufe mit höherem Sterberisiko hervorruft, hält der Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin für unwahrscheinlich. «Die Bevölkerungsimmunität, die wir jetzt durch Impfung und überstandene Infektionen erreicht haben, ist robust und wird insgesamt noch stärker.»

Wie steht es mit dem Risiko für Long Covid?

Laut Watzl treten Langzeitfolgen bei den seit einiger Zeit kursierenden Omikron-Varianten deutlich seltener auf als bei den anfangs vorhandenen. Impfungen und überstandene Infektionen reduzieren das Risiko dafür. Möglicherweise werden solche Nachwirkungen in Zukunft ähnlich selten auftreten wie bei anderen Infektionen.

Viele Viruserkrankungen können Probleme wie Herzmuskelentzündungen, Erschöpfungszustände, Depressionen oder Nervenschäden verursachen. Nach einer Grippe zum Beispiel können langanhaltende gesundheitliche Probleme ähnlich denen bei Long Covid auftreten. Bei Covid sind Langzeitfolgen laut Drosten aber derzeit noch deutlich häufiger.

Drosten verweist auf eine aktuelle Auswertung, der zufolge etwa sechs Prozent der Corona-Infizierten mit Symptomen Long Covid bekommen. Sie zeigten drei Monate nach der Erkrankung noch mindestens einen von drei Symptomkomplexen: schmerzbegleitete Erschöpfungszustände, reduzierte geistige Leistungsfähigkeit oder deutliche Atemwegs- und Covid-Symptome.

Gemäß den deutschen Patientenleitlinien wird Long Covid als Symptome definiert, die über vier Wochen nach einer Corona-Infektion bestehen bleiben, während das Post Covid Syndrom als Unterform gilt, wenn die Symptome länger als zwölf Wochen anhalten. Die genauen Ursachen sind nach wie vor unklar.

Die Behandlung von Long Covid bleibt aufgrund der stark variierenden Symptome von Patient zu Patient eine Herausforderung. Es gibt keine standardisierte Therapie oder spezifische Medikamente, jedoch spezialisierte Long-Covid-Ambulanzen und Reha-Einrichtungen.

Sind Menschen nun häufiger erkältet als vor der Pandemie?

Es scheint tatsächlich so, dass Covid-19 nicht eingedämmt wird, sondern die Gesamtzahl der Atemwegsinfekte steigt. Laut Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) gibt es eine vergleichsweise hohe Anzahl akuter Atemwegserkrankungen. Vor Covid-19 waren die Werte niedriger, sagt Watzl. Es ist wahrscheinlich, dass man sich auch zukünftig auf höhere Erkältungszahlen im Herbst und Winter als vor der Pandemie einstellen muss.

Wie oft jemand von Sars-CoV-2 erwischt wird, ist individuell sehr unterschiedlich. «Manche hatten es erst einmal, manche schon fünfmal», sagt Watzl. Daten zu anderen unter Menschen kursierenden Coronaviren zeigen demnach einen mittleren Abstand von etwa zweieinhalb bis vier Jahren bis zur nächsten Erkrankung.

Gibt es weitere Folgen, die nachwirken?

Die Pandemie hatte in Deutschland besonders große Auswirkungen auf Heranwachsende. Während der Lockdowns und Schulschließungen tauchten viele Jungen und Mädchen stärker in digitale Welten ab.

Auch nach der Corona-Krise haben viele weiterhin eine problematisch hohe Nutzung, wie eine im vorigen Februar vorgestellte Untersuchung ergab. Knapp ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen (24,5 Prozent) nutzt demnach Social-Media-Dienste wie Tiktok, Instagram oder WhatsApp riskant viel. Aktuell sind es hochgerechnet 1,3 Millionen Jungen und Mädchen – dreimal so viele wie im Vor-Corona-Jahr 2019, hieß es.

Eine im März im Fachblatt «Journal of Health Monitoring» vorgestellte Umfrage ergab bei Schulkindern zudem ein deutliches Plus an psychosomatischen Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen. 

Eine starke Abnahme gab es hingegen bei der körperlichen Aktivität – die bisher nicht wieder das vorpandemische Niveau erreichte, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) mitgeteilt hat. «Die Gefahr besteht, dass die Verhaltensweisen aus der Pandemie zum Teil dauerhaft beibehalten werden», sagte BiB-Forschungsdirektor Martin Bujard.

Viele Kinder mit bereits bestehendem Übergewicht nahmen aufgrund des vermehrten Konsums von Süßigkeiten und Knabbereien noch mehr Kilos zu, insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Experten warnen vor langfristigen Auswirkungen wie Bluthochdruck, Fettleber und Diabetes.

Ist die Welt durch Covid-19 eine andere geworden?

Seuchen waren in europäischen Staaten auch in früheren Jahrhunderten immer eine Herausforderung für die Politik, erklärt Karl-Heinz Leven von der Universität Erlangen-Nürnberg. Maßnahmen wie Kontaktsperren und die Isolation von Kranken konnten nur behördlich und unter Androhung von Strafen bei Übertretung durchgesetzt werden.

Es liege der menschlichen Natur zugrunde, dass eine Krise ungünstige Entwicklungen hervorrufe, schrieb Leven im Fachblatt «Geschichte in Wissenschaft und Unterricht». Dazu zähle das Streuen von Gerüchten, die bei Ausbrüchen der Pest zu Lynchmorden führten. «Im 19. Jahrhundert wurden im Zuge der Cholera-Epidemien in einigen europäischen Städten Ärzte und Apotheker gelyncht, da es gerüchteweise hieß, sie vergifteten die Armen.»

Auch während der Corona-Pandemie hätten sich Gerüchte massiv verbreitet. Das Stichwort «Corona-Verschwörung» bringe bei einer Google-Suche zig Millionen Treffer, so Medizinhistoriker Leven. Zugleich habe sich im Gegenzug eine Art allergische Reaktion entwickelt, kritische Positionen Andersdenkender automatisch mit Verschwörungserzählungen gleichzusetzen.

Haben wir gelernt aus der Pandemie?

Es kann angezweifelt werden. Obwohl in vielen Ländern Pandemiepläne entstaubt oder neu erstellt wurden, zeigt ein aktuelles Beispiel, dass im Zweifelsfall immer noch zu wenig getan wird, um die Ausbreitung gefährlicher Erreger frühzeitig zu stoppen: die Vogelgrippe H5N1 in US-Milchviehbetrieben. Seit den ersten Nachweisen im März wurden laut dem US-Landwirtschaftsministerium H5N1-Fälle in hunderten Betrieben vieler Bundesstaaten festgestellt.

Es sei leider nicht zu erkennen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die das Geschehen schnell stoppen würden, sagt Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Insel Riems bei Greifswald. Den Eindruck, dass in den USA mehr Wert darauf gelegt wird, kurzfristig wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden als eine mögliche weitere Zoonose zu unterbinden, bestätigt auch Drosten: «Es ist schon frappierend, wie wenig Dateneinsicht und gezielte Infektionsüberwachung stattfindet, sowohl bei Tieren als auch beim Menschen.»

dpa