Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Alarmierender Gletscherschwund weltweit

UN erklärt 21. März zum Welttag der Gletscher. Gletscherschmelzwasser entscheidend für Trinkwasserversorgung und Bewässerung, aber Gletscher verlieren jährlich 273 Milliarden Tonnen Eis.

Die Gletscher schwinden wegen der Klimaerwärmung rasant (Archivbild)
Foto: Matthias Schrader/AP

Viele der rund 275.000 Gletscher weltweit schrumpfen mit alarmierender Geschwindigkeit, sowohl in den Bergen als auch in den polaren Regionen. Laut einer Studie der Schweizer Universität Fribourg war der Rückgang zwischen 2012 und 2023 um 36 Prozent höher als in den vorherigen zehn Jahren. Der Hauptgrund dafür ist der vom Menschen verursachte Ausstoß von Treibhausgasen, die das Klima erwärmen. Um die Aufmerksamkeit der Menschheit zu erregen, haben die Vereinten Nationen den 21. März als neuen Welttag der Gletscher erklärt.

Einige der schwerwiegendsten Auswirkungen des Rückgangs der Gletscher:

Trinkwasser

Laut Gletscherforscher John Pomeroy von der kanadischen Universität Saskatchewan ist die Erhaltung von Gletscherschmelzwasser als Trinkwasserquelle eine Frage des Überlebens für die Menschheit.

„Gletscher sind Speicher, Schmelzwasser versorgt Flüsse vor allem in heißen Jahreszeiten, die auch zur Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen genutzt werden. Zunächst steigt die Wassermenge durch das Schmelzen der Gletscher, aber in Europa könnte der Höhepunkt bereits überschritten sein“, sagt Gletscherexperte Daniel Farinotti, Professor an der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

«Die 273 Milliarden Tonnen Eis, die in einem einzigen Jahr (durch Gletscherschmelze) verloren gehen, entsprechen dem Wasserverbrauch der gesamten Weltbevölkerung während 30 Jahren, wenn man von drei Litern pro Person und Tag ausgeht», zitiert die Universität Zürich den Glaziologen Michael Zemp.

Am Eingang des Genfersees in der Schweiz stammt etwa 15 Prozent des Wassers vom Rhone-Gletscher, sagt Farinotti. In Europa wird ein Großteil des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen, das hauptsächlich aus Niederschlägen stammt. Die genaue Rolle von Schnee- und Eisschmelze für das Grundwasser wird noch untersucht.

Meeresspiegelanstieg

Laut einer neuen Studie unter der Leitung der Universität Zürich haben die Gletscher weltweit seit dem Jahr 2000 jedes Jahr etwa 273 Milliarden Tonnen Eis verloren. Dies hat zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 18 Millimeter geführt. Dabei wurde das Schmelzen der kontinentalen Eisschilde Grönlands und der Antarktis nicht berücksichtigt.

Seit 2006 hat sich der jährliche Anstieg des Meeresspiegels im Vergleich zum durchschnittlichen Wert des 20. Jahrhunderts auf etwa 3,6 Millimeter mehr als verdoppelt, so die US-Klimabehörde Noaa 2023. Die Tendenz ist steigend. Neben der Gletscher- und Eisschmelze trägt auch die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung dazu bei. Die Noaa prognostiziert, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts etwa 30 Zentimeter höher sein wird als im Jahr 2000, selbst wenn die Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten auf relativ niedrigem Niveau bleiben.

Bei einem Anstieg des Meeresspiegels werden Inseln und Küstengebiete überflutet, Wohngebiete werden unbewohnbar und Ackerflächen werden zerstört. Salziges Meereswasser kann Süßwasserquellen kontaminieren und Hurrikans verursachen bei höherem Wasserstand größere Schäden.

Ozeanzirkulation

Das milde Klima in Europa und die weltweite Verteilung von Niederschlägen werden maßgeblich durch den Golfstrom beeinflusst, der Teil der Atlantischen Umwälzströmung (Amoc) ist. Er transportiert warmes Ozeanwasser nach Norden, wo es abkühlt, absinkt und somit die atlantische Strömung antreibt. Der Weltklimarat IPCC hat davor gewarnt, dass ein Zusammenbruch dieser Zirkulation durch unerwartet große Mengen an Schmelzwasser aus polaren Gletschern ausgelöst werden könnte.

Eine neue Studie im Fachmagazin «Nature» legt nahe, dass die Amoc womöglich zwar nicht vollständig verschwindet, aber deutlich schwächer wird. «Ob es dann am Ende ein Kollaps oder eine sehr starke Abschwächung ist, macht für die Auswirkungen dieser Veränderung am Ende kaum keinen Unterschied», berichtet aber Jens Terhaar, der an der Universität Bern unter anderem das Ökosystem des Arktischen Ozeans modelliert. «Beides wäre mit extremen Folgen verbunden und man sollte alles unternehmen, um dies zu vermeiden.» 

Biodiversität

Die Biodiversität im Gebiet der Berggletscher verändert sich dramatisch, wenn das Eis schmilzt und die Temperaturen steigen. Wärmeempfindliche Pflanzen und Tierarten müssen in höhere Lagen wandern. Kaltwasserbewohner in Flüssen sind gefährdet, wenn ihr Lebensraum nicht mehr von Gletscherwasser gekühlt wird.

«Manche Arten mögen es nicht, wenn das Wasser warm wird, und Flüsse könnten so weit austrocknen, dass Fische und andere aquatische Lebewesen keine Chance fürs Überleben haben», sagt Farinotti. Das Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag schreibt, womöglich müssten empfindliche Flussbewohner von Menschen auch in höhere Lagen umgesiedelt werden. Dort müssten sie auch geschützt sein. Von Gletschern freigegebene Gebiete dürfen also nicht sämtlich als Freizeitgebiet oder zur Produktion von Energie durch Wasserkraft genutzt werden.

Neue Bakterien oder Pilzarten

Im Gletschereis werden regelmäßig unbekannte Mikroorganismen gefunden. Was passiert, wenn das Eis schmilzt? Chinesische Forscher haben in Berg- und Polargletschern die DNA von über 10.000 Virusarten dokumentiert, die laut ihren Angaben jedoch keine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen. In Schweizer Gletschern und Permafrost haben Beat Frey vom WSL und seine Kollegen zehn neue Bakterienarten und eine neue Pilzart entdeckt.

Diese Organismen können Aufschluss über vergangene Klimaveränderungen liefern. Untersucht wird, ob sie womöglich auch im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime nützlich sein können. Frey und Kollegen fanden zudem, dass manche Bakterien bestimmte Kunststoffe bei sehr niedrigeren Temperaturen abbauen konnten. «Unsere langfristige Vision ist, eine Lösung für einige globale Probleme zu finden», sagt Frey dem Portal swissinfo.ch.

dpa