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Londoner Nachtleben in der Krise: Clubs und Pubs schließen reihenweise

Besucher enttäuscht, Touristen frustriert. Branchenverband schätzt über 3000 Einrichtungen geschlossen. ASI fordert Reformen.

Nach 22.00 Uhr ein häufiges Bild in London: Die Türen sind verriegelt.
Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

«Swinging London»: Wer an die pulsierende Metropole an der Themse denkt, meint oft bunte Lichter und Trubel bis zum Morgen. Soho und Covent Garden gelten als Traumorte vieler Touristen auf der Suche nach Partys, als Hotspots der Nacht.

Jedoch sieht die Realität anders aus: Wenn Besucher abends aus einem der zahlreichen Theater strömen und nach einem Mitternachtsimbiss suchen oder wenn jemand von einem Empfang kommt und noch auf einen Absacker hofft, wird er oft enttäuscht. Ein geöffnetes Pub in der Londoner City? Zu dieser Uhrzeit kaum zu finden.

«Wann haben Sie das letzte Mal eine richtige Nacht in London durchgemacht?», fragte die Hauptstadtzeitung «Evening Standard» vor wenigen Wochen verzweifelt ihre Leser, und die «Daily Mail» sieht schon «die Vernichtung der Londoner Partyszene» gekommen.

Regelmäßig zitieren britische Medien entgeisterte Touristen, die ausgerechnet in der Glitzermetropole London um 22 Uhr aus dem Pub geworfen wurden und kein offenes Lokal mehr fanden. «Londons Nachtleben in der Krise», überschrieb die neoliberale Denkfabrik Adam Smith Institute (ASI) jüngst einen Bericht über die Branche.

Betriebskosten explodieren

Es gibt viele Gründe. Die Betriebskosten, insbesondere für Löhne, Energie und Rohstoffe, sind um 30 bis 40 Prozent gestiegen, während weniger Kunden kommen. Laut den Immobilienanalysten von Placemake.io und Visitor Insights sank die Kundenfrequenz in der Innenstadt im Jahr 2022 nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen im Vergleich zum Vor-Pandemie-Jahr 2019 um 55 Prozent.

Der Branchenverband Night Time Industries Association (NTIA) schätzt, dass seit März 2020 mehr als 3000 Einrichtungen wie Bars und Clubs in der britischen Hauptstadt dichtgemacht haben. Dass Londons «Night Czar» Amy Lamé, so etwas wie die offizielle Nachtleben-Beauftragte, die Stadt regelmäßig als Vorreiterin der 24-Stunden-Wirtschaft lobt, die nie schlafe, sorgt für Kopfschütteln bei Liberalen und Konservativen gleichermaßen.

Auch landesweit sind die Zahlen ernüchternd. Gab es vor 20 Jahren noch mehr als 3000 Discos im Vereinigten Königreich sind es nun nur noch etwa 850, wie die «Times» unter Berufung auf die Beratungsfirma CGA berichtete.

Fast noch krasser ist die Situation bei den Veranstaltungsorten mit Live-Musik: Im letzten Jahr schlossen 125 von ihnen, etwa jede sechste Location, wie die Organisation The Music Venue Trust berechnet hat. Die Rekom-Gruppe, die sich als größtes Nightlife-Unternehmen Nordeuropas bezeichnet, hat in diesem Jahr bereits Filialen ihrer Disco-Kette Przym in Birmingham, Leeds, Nottingham, Portsmouth, Plymouth und Watford geschlossen.

Das Homeoffice macht Beschäftigte zu «TWaTs»

Doch kaum eine Stadt ist so stark betroffen wie London. In der Hauptstadt gibt es nun 16 Prozent weniger Veranstaltungsorte, in Liverpool betrug der Rückgang 3 Prozent. Ein Grund: der Anstieg der Homeoffice-Nutzer, wie Graeme Smith vom Beratungsunternehmen AlixPartners der «Times» sagte.

Viele Menschen mit Bürojobs gehen nur noch am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag in die Stadt. Zwar sind an Donnerstagen die Pubs im Regierungsbezirk Westminster brechend voll. Doch die Unternehmen haben deutlich weniger Zeit, Geld zu verdienen. Das Phänomen hat sogar eine eigene Bezeichnung: «TWaTs» – Tuesdays, Wednesdays and Thursdays. Typisch britischer Humor, sagen wohl viele, denn «twat» ist eigentlich ein Schimpfwort. Es bedeutet so etwas wie Vollidiot, nur vulgärer.

In den meisten Gegenden von London muss man mehr als 7 Pfund (etwa 8,15 Euro) für ein Pint Bier (0,568 Liter) bezahlen. Viele überlegen es sich zweimal, ein weiteres Glas zu bestellen und länger zu bleiben. Auch der unzureichende Nachtplan wird häufig kritisiert. Dazu kommen hohe Immobilienpreise – und damit hohe Mieten, die den Druck auf Pub- und Club-Besitzer erhöhen, insbesondere wenn die Kunden ausbleiben, wie AlixPartners-Experte Smith erklärt. Mit dem Brexit fehlen auch Fachkräfte in der Gastronomie: Bis zum EU-Austritt standen viele junge Menschen aus Italien, Spanien oder Portugal hinter den Tresen. Nun fehlen sie, da sich der Aufenthalt aufgrund teurer Visa nicht mehr lohnt.

Sieben Pfund für ein Pint Bier

Die steigenden Lebenshaltungskosten, die «cost of living crisis», haben weite Teile der Gesellschaft im Griff, auch wenn der Anstieg der Verbraucherpreise zuletzt zurückging. Studierende, eine wichtige Gruppe für das Nachtleben, würden später ausgehen und weniger trinken, sagte Rekom-Chef Peter Marks der BBC. Das belegen Untersuchungen der National Union of Students (NUS), ein Zusammenschluss der britischen Studentenvereinigungen. Und die Studentinnen und Studenten arbeiten mehr, um über die Runden zu kommen. «Das bedeutet, dass viele zwischen Vollzeitstudium und Teilzeitjob gar nicht mehr unter die Leute kommen», sagte NUS-Vertreterin Chloe Field.

Das Adam Smith Institute schätzt den Beitrag des Londoner Nachtlebens zur Wirtschaft auf 46 Milliarden Pfund. Die lahmende Lust am Nightlife hat Folgen für die städtischen Finanzen. Viele Branchen wie Transport, Security und Imbissläden profitieren davon.

Was könnte helfen?

Der Thinktank drängt sowohl die Regierung als auch die Stadtverwaltung zu Reformen. Bier- und Mehrwertsteuer sowie Vorschriften für Clubs, Pubs und Discos müssten gekürzt werden. Um die Branche nach der Pandemie wiederzubeleben, durften Restaurants ihre Tische auf die Bürgersteige stellen, was auf großen Andrang stieß. Dies ist nun größtenteils wieder verboten.

Schließlich müsse das Verkehrsangebot in der Nacht ausgebaut und eine größere Polizeipräsenz rund um die Transportinfrastruktur geschaffen werden, hieß es vom ASI weiter. «Indem wir unnötige Bürokratie abbauen, um die Vetokratie zu überwinden, diese großartige Stadt nachts sicherer machen und die belastenden Kosten im gesamten Gastgewerbe senken, können wir Londons Ruf als echte 24-Stunden-Stadt wiederherstellen.»

dpa