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Der Grönlandhai: Ein Leben von 400 Jahren und mehr

DNA-Reparatur als Schlüssel zur extremen Langlebigkeit – neue Erkenntnisse aus Genomanalyse.

Der Grönlandhai ist das langlebigste Wirbeltier der Welt. (Handout)
Foto: picture alliance / dpa

Der Grönlandhai ist das langlebigste Wirbeltier der Welt. Die in tiefen Bereichen des Nordatlantiks und des Arktischen Ozeans lebenden Fische können etwa 400 Jahre alt werden, möglicherweise sogar noch älter. Eine Analyse des Erbguts deutet darauf hin, dass eine verbesserte DNA-Reparatur eine entscheidende Rolle für die extreme Langlebigkeit spielen könnte.

Solche Erkenntnisse können dazu beitragen, die allgemeinen Mechanismen der Langlebigkeit besser zu verstehen, wie die Forschenden hoffen. Die Natur hat Lebewesen sehr unterschiedliche Höchstalter zugedacht. Unter Kiefern gibt es beispielsweise ein fast 5000 Jahre altes Exemplar namens Methuselah. Die langlebigsten Landsäugetiere sind Menschen: Den Altersrekord hält die Französin Jeanne Louise Calment, die am 4. August 1997 im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen starb.

Gigantisches Genom

Die Studie von Steve Hoffmann und seinem Team am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena wurde noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht und daher noch nicht unabhängig überprüft. Die Entschlüsselung des Genoms des Grönlandhais stellte aufgrund seiner Größe eine Herausforderung dar: Mit fast 6,5 Milliarden Basenpaaren ist der genetische Code des Grönlandhais doppelt so lang wie der des Menschen und das umfangreichste aller derzeit bekannten Hai-Genome.

Bisher seien nur wenige Tiere mit einem noch größeren Genom bekannt, wie zum Beispiel der Axolotl und der Lungenfisch. Die enorme Größe des Erbguts des Grönlandhais sei hauptsächlich auf sich wiederholende Elemente zurückzuführen, die auch als transponierbare Elemente oder springende Gene bekannt seien. Laut der Studie machen diese Elemente mehr als 70 Prozent des Genoms von Grönlandhaien aus.

Eigentlich schädlich – hier aber nützlich?

Erstaunlich ist dies, weil ein großer Anteil solcher Elemente normalerweise als schädlich für den Körper angesehen wird – im Falle des Grönlandhais scheint das jedoch nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil, es wird vermutet, dass die Aktivität transponierbarer Elemente zur extremen Langlebigkeit beigetragen haben könnte. Möglicherweise nutzen Gene, die an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt sind, die Maschinerie der Elemente.

«In jeder unserer Zellen wird die DNA täglich tausende Male beschädigt und spezialisierte molekulare Mechanismen reparieren sie ständig», erklärte Mitautor Alessandro Cellerino vom FLI. Vergleichende Genomstudien hätten gezeigt, dass langlebige Säugetierarten ihre DNA außergewöhnlich effizient reparieren können.

Gute DNA-Reparatur = langes Leben?

Die Ergebnisse beim Grönlandhai seien ein weiterer Hinweis darauf, dass die DNA-Reparatur ein allgemeiner Mechanismus sein könnte, der der Evolution außergewöhnlicher Langlebigkeit zugrunde liegt, so das Fazit der Forschenden. Darüber hinaus seien die Daten eine Grundlage dafür, die genomische Vielfalt und damit die Populationsgröße der gefährdeten Art abschätzen zu können.

Dass Grönlandhaie 400 Jahre alt werden können, hatte eine Forschergruppe um Julius Nielsen von der Universität Kopenhagen schon 2016 in der Fachzeitschrift «Science» berichtet. Ihre Geschlechtsreife erreichen diese Haie demnach erst nach etwa 150 Jahren. Die Tiere können mehr als fünf Meter lang werden, wachsen aber sehr langsam. 

Eine im vergangenen Jahr vorgestellte Studie hatte ergeben, dass sich das Erbgut von Haien wesentlich langsamer verändert als das anderer Wirbeltiere. Die Veränderungsrate speziell bei Epaulettenhaien beträgt nur etwa ein Zwanzigstel der Rate beim Menschen, wie Forscher um Manfred Schartl von der Universität Würzburg im Journal «Nature Communications» berichteten. Es handle sich um die niedrigste bisher bei Wirbeltieren bekannte Mutationsrate überhaupt.

Die Wissenschaftler erklären, dass bei Haiarten in kalten Gewässern mit einer noch niedrigeren Stoffwechselrate wie dem Grönlandhai (Somniosus microcephalus) noch niedrigere Mutationsraten zu erwarten sind.

Alles hat Vor- und Nachteile

Laut dem Forschungsteam hat eine niedrige Veränderungsrate Vor- und Nachteile: “Die Tatsache, dass sich nur selten Veränderungen im Erbgut einschleichen, könnte eine Erklärung für das außergewöhnlich geringe Krebsrisiko der Haie sein. Allerdings könnten sie aufgrund desselben Grundes langsamer auf Umweltveränderungen reagieren als andere Tiere.”

Erbgutveränderungen bilden die Grundlage für Evolution: Einige bieten einen Überlebensvorteil für die betroffenen Tiere und werden daher eher beibehalten, da diese Exemplare eine größere Chance auf Nachwuchs haben. Auch Krebserkrankungen beruhen auf spontanen kleinen Veränderungen in der DNA, die zu Fehlfunktionen der betroffenen Zelle und unkontrolliertem Zellwachstum führen.

Unverändert seit einer halben Milliarde Jahren

Haie sind seit etwa 400 bis 500 Millionen Jahren in den Weltmeeren zu finden und haben sich in dieser Zeit kaum verändert. Sie werden spät geschlechtsreif, haben einen langsamen Stoffwechsel, werden alt und haben wenige Nachkommen. Überfischung, Verlust von Lebensraum und Klimawandel führen zum Rückgang vieler Haiarten.

dpa