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Grundlagen für Kernfusion – «Wendelstein 7-X» in neuer Phase

Saubere nahezu unerschöpfliche Energie – das ist die Verheißung der Kernfusion. Kritiker sind skeptisch. In Greifswald sollen weitere Grundlagen geschaffen werden. Ein «Raketenstart» steht bevor.

Das Kernfusionsexperiment «Wendelstein 7-X» startet in eine neue heiße Phase und soll mit Hunderten Experimenten Grundlagen für mögliche Kernfusionskraftwerke schaffen.
Foto: Stefan Sauer/dpa

Sechs Monate hat allein das Wiederhochfahren der Anlage gedauert – nun sollen ab Dienstag neue Versuche mit dem Greifswalder Großexperiment «Wendelstein 7-X» weitere Grundlagen für die Energieerzeugung mittels Kernfusion liefern. Diese könnte einmal CO2-frei Unmengen Energie liefern, ohne die Sicherheitsrisiken und Abfallproblematik der Kernspaltung – so die Hoffnung.

Auf dem Weg dahin erreichte «Wendelstein 7-X» während der letzten Experimentierphase Anfang 2023 einen Meilenstein. Es gelang, ein Plasma – eine Art vierter, für die Kernfusion benötigter Aggregatzustand – sehr heiß und lange (acht Minuten) aufrechtzuerhalten. Nun soll es vor allem noch heißer werden. Dafür ist die Anlage technisch verbessert worden.

Die Energiequelle der Sonne ist die Kernfusion. Bei hohem Druck und großer Hitze verschmelzen Atomkerne, wodurch eine enorme Menge Energie freigesetzt wird, die auch die Erde versorgt. Um dies auf der Erde zu erreichen, sind Temperaturen von über 100 Millionen Grad erforderlich.

Vorbereitung wie vor einem Raketenstart

Die Vorbereitungen auf die anstehende Experimentierphase glichen denen eines «Raketenstarts», heißt es vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, zu dem «Wendelstein 7-X» gehört. So mussten etwa spezielle Magnete, die das Plasma halten, auf minus 270 Grad abgekühlt werden. 

Etwa 740 Experimentiervorschläge aus der ganzen Welt wurden eingereicht. Davon wurden 200 für die Durchführung mit höchster Priorität ausgewählt. Vor Ort arbeiten ungefähr 100 Plasmaforscher und -forscherinnen sowie etwa 200 Ingenieure und Technikerinnen. Während der Experimentierphase kommen zusätzlich weitere 50 Plasmaforscher und -forscherinnen aus Europa, den USA und Japan hinzu.

Dauerbetrieb als Ziel

Die Anlage in einer mehrstöckigen Halle im Osten Greifswalds wiegt etwa 1000 Tonnen und gilt laut dem Institut als eine der weltweit führenden Anlagen für die Erzeugung von heißem Plasma über lange Zeiträume. Mit dem bevorstehenden Programm strebt man danach, an die Spitze zu gelangen. Die Experimente laufen zunächst bis Dezember und dann erneut von Februar bis Mai. Nach einer weiteren Wartungsphase soll im Jahr 2026 oder 2027 eine Plasmadauer von einer halben Stunde erreicht werden, was praktisch einem kontinuierlichen Betrieb entspricht und somit die Grundlagen für mögliche Kraftwerke schaffen soll.

Zu teuer und zu spät?

Inklusive Investitionen, Betriebs- und Personalkosten hat «Wendelstein 7-X» bereits mehr als eine Milliarde Euro gekostet. Kritiker sagen, Kernfusion sei zu teuer und komme zu spät, wenn sie überhaupt komme. Thomas Klinger, Leiter von «Wendelstein 7-X», wendet ein: «Der Umbau unseres Energiesystems ist eine Jahrhundertaufgabe, die nicht erledigt ist, wenn wir 2045 Treibhausgasneutralität erreichen werden». Der Bedarf werde weiter steigen. Da sei eine zusätzliche Option wie die Kernfusion gut. «Wenn wir sie jetzt nicht erforschen, wird sie der Menschheit nicht zur Verfügung stehen, wenn sie dann eben doch gebraucht wird».

dpa