Sie sind oft billig und schnell verzehrbereit: Viele Menschen greifen gern zu hochverarbeiteten Lebensmitteln. Unternehmen machen damit Gewinn – doch Käufer riskieren ihre Gesundheit, warnen Experten.
Hochverarbeitetes Essen schadet Gesundheit und Gesellschaft

Tiefkühlpizza, Burger-Patties, Knuspermüsli – solche Lebensmittel sind lecker, praktisch und allgegenwärtig. Doch was auf den ersten Blick nach bequemer, schneller Mahlzeit aussieht, kann der Gesundheit langfristig schaden. Die zunehmend von hochverarbeiteten Lebensmitteln dominierte Ernährung trägt zum weltweiten Anstieg von Fettleibigkeit, Diabetes und psychischen Erkrankungen bei, warnte Phillip Baker von der Universität Sydney (Australien), Mitautor einer umfassenden Analyse zum Thema. Eine starke globale Reaktion ähnlich wie bei den koordinierten Bemühungen gegen die Tabakindustrie sei erforderlich, bilanziert das Team.
Die Verdrängung etablierter Ernährungsgewohnheiten durch hochverarbeitete Lebensmittel sei ein wesentlicher Treiber für die weltweit steigende Belastung durch ernährungsbedingte chronische Krankheiten, betonen die 43 Expertinnen und Experten. Sie haben für eine dreiteilige Analyse im Fachjournal «The Lancet» betrachtet, wie die Industrie den Verkauf hochverarbeiteter Lebensmittel (englisch «ultra-processed food», kurz UPF) ankurbelt und welche Auswirkungen solche Produkte auf unser Leben haben.
Was steckt hinter dem Begriff?
Laut der Nova-Klassifizierung sind hochverarbeitete Lebensmittel industriell hergestellte Produkte, die aus günstigen Zutaten wie gehärteten Ölen und Glukose-/Fruktosesirup sowie Zusatzstoffen wie Aromen und Farbstoffen bestehen. Diese durchlaufen in der Regel zahlreiche Verarbeitungsschritte und sind oft verzehrfertig oder müssen nur noch aufgewärmt werden. Auch attraktive Verpackungen sind typisch. Wie die Forschenden erklären, enthalten diese Lebensmittel häufig Zucker, Fett oder Salz (oder Kombinationen davon) in höheren Konzentrationen als verarbeitete Lebensmittel.
Manche Kritiker hielten es nicht für zielführend, Lebensmittel mitpotenziell hohem Nährwert wie angereicherte Frühstückszerealien undaromatisierte Joghurts zusammen mit Produkten wie stark verarbeitetem Fleisch oder zuckerhaltigen Getränken in diese Kategorie einzuordnen. «UPF werden jedoch selten isoliert konsumiert», geben die Forschenden dazu zu bedenken. Es gehe um das generelle Ernährungsmuster, bei dem vollwertige und minimal verarbeitete Lebensmittel durch verarbeitete Alternativen ersetzt werden.
Sind UPFs ein weltweiter Trend?
Das Expertenteam erklärte, dass der steigende Anteil ultraverarbeiteter Lebensmittel an der menschlichen Ernährung nahezu überall durch die zunehmende wirtschaftliche und politische Macht der UPF-Industrie vorangetrieben werde. Der Sektor habe bereits im Jahr 2023 einen jährlichen Umsatz von rund 1,9 Billionen US-Dollar erreicht und sei damit der profitabelste Teil der globalen Lebensmittelindustrie, mit steigender Tendenz.
Besonders in einkommensschwachen Ländern sei der Verkauf zuletzt stark gestiegen. In einkommensstarken Ländern wie den USA oder Großbritannien liege der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel an der täglichen Nahrungsaufnahme bereits bei bis zu 50 Prozent. «Der steigende Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel verändert weltweit die Ernährungsgewohnheiten und verdrängt frische und minimal verarbeitete Lebensmittel und Mahlzeiten», sagte Carlos Monteiro von der Universität São Paulo (Brasilien).
Wie sieht es in Deutschland aus?
«In einer Marktanalyse mit über 24.000 Lebensmitteln konnte meine Arbeitsgruppe zeigen, dass etwa die Hälfte der in deutschen Supermärkten angebotenen Produkte hochverarbeitet ist», sagte der Ernährungswissenschaftler Mathias Fasshauer von der Justus-Liebig-Universität Gießen, der selbst nicht an der «Lancet»-Serie beteiligt war.
Deutschland sei eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Absatz an hochverarbeiteten Lebensmitteln, erklärte der Gesundheitsökonom Peter von Philipsborn von der Universität Bayreuth. «Studien zeigen übereinstimmend, dass in Deutschland weniger frische, gering verarbeitete Lebensmittel verzehrt werden als empfohlen, während Produkte wie Softdrinks, Süßwaren, salzige Snacks und verarbeitetes Fleisch häufiger als empfohlen verzehrt werden.»
Warum sind die Produkte so erfolgreich?
Monteiro sagte, dass mächtige globale Unternehmen die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten vorantreiben, indem sie durch hochverarbeitete Produkte enorme Gewinne erzielen. Sie verhindern durch umfangreiches Marketing und politische Lobbyarbeit wirksame Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung.
Die Produkte sind für den Verbraucher bequem: Eine Tiefkühlpizza ist in wenigen Minuten fertig – im Gegensatz dazu muss für eine selbstgemachte Pizza Teig angesetzt, Gemüse geschnippelt und Käse gerieben werden. Darüber hinaus sind Fertigprodukte aufgrund der günstigen Zutaten und automatisierten Herstellungsprozesse oft sehr preiswert, wie die Forscher erklären.
Viele Menschen könnten sich eine gesunde Ernährung gar nicht mehr leisten, geben Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Kommentar zu den «Lancet»-Beiträgen zu bedenken. «Lebensmittel, die Bestandteil einer gesunden Ernährung sind, wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, werden für viele immer unerschwinglicher, während Lebensmittelprodukte, die heute als hochverarbeitete Lebensmittel (UPFs) bekannt sind, preiswert und weltweit weit verbreitet sind.»
Warum sehen Gesundheitsexperten die Entwicklung so kritisch?
Dutzende Studien zeigen den «Lancet»-Autoren zufolge, dass eine Ernährung mit hohem UPF-Anteil mit übermäßigem Essen, schlechter Nährstoffqualität (zu viel Zucker und ungesunde Fette, zu wenig Ballaststoffe und Proteine) und einer höheren Belastung durch schädliche Chemikalien und Zusatzstoffe einhergeht. Dadurch werde das Risiko für zahlreiche chronische Erkrankungen erhöht, darunter Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen.
Diese Folgen spielten auch in Deutschland eine große Rolle, erklärte von Philipsborn, der selbst nicht an der «Lancet»-Serie beteiligt war. Etwa ein Viertel aller Erwachsenen sei von Adipositas betroffen. «Starkes Übergewicht hat häufig Krankheiten wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Arthrose zur Folge. Dies trägt zu den in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hohen Gesundheitskosten und Krankenstand bei.»
Die UPF-Industrie räume dem Unternehmensgewinn Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit ein, heißt es bei «Lancet». Die weltweite Verbreitung hochverarbeiteter Lebensmittel sei zu einer der dringendsten, aber unzureichend behandelten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert geworden, warnt das Kinderhilfswerk Unicef in einem Kommentar zu den Fachbeiträgen.
Es wird auch darauf hingewiesen, dass Kinder besonders anfällig für hochverarbeitete Lebensmittel und deren schädliche Wirkung seien. Gleichzeitig seien Kindertagesstätten, Schulen und nahegelegene Einzelhandelsgeschäfte, Sport- und Freizeiteinrichtungen oft mit UPF überflutet – auch durch Sponsoring-Vereinbarungen, die den Konsum von UPF normalisieren.
Unicef bilanziert: «Angesichts der zunehmenden Beweise, die einen Zusammenhang zwischen UPFs und ultraverarbeiteten Ernährungsmustern und Unterernährung sowie gesundheitlichen Problemen bei Kindern herstellen, stellt sich nicht die Frage, ob Handlungsbedarf besteht, sondern warum so viele Länder noch keine sinnvollen Maßnahmen ergriffen haben.»
Welche Maßnahmen sind denn politisch sinnvoll?
«Genauso wie wir vor Jahrzehnten gegen die Tabakindustrie vorgegangen sind, brauchen wir jetzt eine mutige, koordinierte globale Reaktion, um die überproportionale Macht der UPF-Konzerne einzudämmen und Lebensmittelsysteme aufzubauen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in den Vordergrund stellen», sagte Karen Hofman von der University of the Witwatersrand (Südafrika).
Die Autoren sind der Meinung, dass Maßnahmen zur Verringerung von Produktion, Vermarktung und Konsum wie die Besteuerung ungesunder Waren, Werbeverbote sowie Qualitätsstandards für Schul- und Krankenhausküchen notwendig sind, um den Kampf gegen hohe Fett-, Zucker- und Salzgehalte zu unterstützen und den Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu verbessern. Eine Möglichkeit hierfür wäre die Besteuerung bestimmter UPFs, um die Finanzierung von Subventionen für frische Lebensmittel für einkommensschwache Haushalte zu ermöglichen.
Gerechtigkeit müsse im Mittelpunkt stehen, hieß es. «Der Konsum ist tendenziell höher bei Menschen in wirtschaftlich schwierigen Lagen. Bemühungen um einen Übergang weg von UPF-reichen Ernährungsweisen dürfen die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten beim Kochen oder die Ernährungsunsicherheit von Bevölkerungsgruppen, die auf günstige UPF-Produkte angewiesen sind, nicht verschärfen.»
Das Expertenteam betrachtet das größte Hindernis für die Umsetzung politischer Maßnahmen darin, dass die Industrie über ein globales Netzwerk von Tarnorganisationen, Multi-Stakeholder-Initiativen und Forschungspartnern dagegen kämpft und Regulierungen blockiert. Es geht sowohl um direkte Lobbyarbeit als auch um die Infiltration von Regierungsbehörden und die Beeinflussung der öffentlichen Debatte, beispielsweise durch gezieltes Schüren von Zweifeln an wissenschaftlichen Erkenntnissen.
«Die Lebensmittelsysteme haben sich so entwickelt, dass Produktion,Vermarktung und Konsum ultraverarbeiteter Lebensmittel Priorität haben», heißt es bei «Lancet». Diesen Trend umzukehren, werde ein langfristiger Prozess sein. Noch stecke die globale Reaktion in den Anfängen, ähnlich wie die Tabakkontrollbewegung vor Jahrzehnten.








