Erwischt uns die Klimakrise noch schneller als bisher angenommen? Auf Künstliche Intelligenz gestützte Analysen zumindest deuten darauf hin.
KI-Prognosen: Erderwärmung könnte schneller voranschreiten
Laut einer KI-gestützten Analyse könnte Europa bis 2060 bei weiter steigendem Treibhausgas-Ausstoß um mindestens drei Grad im Vergleich zu den vorindustriellen Werten erwärmt sein. Im Jahr 2023 war es bereits 2,3 Grad wärmer als der globale Durchschnitt, der laut Daten des Klimadienstes Copernicus bei rund 1,48 Grad lag.
Auch in den meisten anderen Regionen der Erde wird die Erderwärmung der neuen Auswertung zufolge wahrscheinlich schneller voranschreiten als vielen bisherigen Simulationen zufolge. Die für die Analyse genutzte KI lernt anhand zehn globaler Klimamodelle, außerdem verfeinern Messdaten der vergangenen Jahre die Vorhersagen, wie das Team um Elizabeth Barnes von der Colorado State University in Fort Collins im Fachjournal «Environmental Research Letters» berichtet. «KI entwickelt sich zu einem unglaublich leistungsfähigen Instrument zur Verringerung der Unsicherheit bei Zukunftsprognosen», sagte Barnes.
Der sozioökonomische Pfad SSP3-7.0 aus dem Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) wurde als Grundlage verwendet. Dieses Szenario prognostiziert, dass der Treibhausgas-Ausstoß in einer von Konflikten und Nationalismus geprägten Welt weiterhin stark ansteigen wird. Zur Bestimmung des aktuellen Klimazustands wurden die beobachteten Temperaturanomalien von 2023 berücksichtigt.
Schnellerer Anstieg als zumeist angenommen?
Laut den Angaben könnte die 1,5-Grad-Schwelle bereits im Jahr 2040 oder früher für alle 34 betrachteten Regionen erreicht werden, in 31 Regionen sogar bereits zwei Grad. Bei der Analyse des Erreichens von drei Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt überschritten 26 von 34 Regionen im Jahr 2060 die Grenze, darunter die vier Regionen in Europa. Bisher lagen die Prognosen für eine globale Durchschnittstemperatur in diesem Szenario und zu diesem Zeitpunkt unter drei Grad.
Eine weitere Studie unter Verwendung von KI hat ergeben, dass die Erderwärmung wahrscheinlich schneller voranschreiten wird als in vielen bisherigen Simulationen berechnet. Temperaturen von zwei oder drei Grad über dem Durchschnitt des Zeitraums 1850 bis 1899 werden wahrscheinlich deutlich früher erreicht, als allgemein angenommen.
Begrenzung auf 1,5 Grad unerreichbar
Das globale Ziel, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist der Auswertung zufolge inzwischen praktisch sicher unerreichbar. Zudem bestehe ein hohes Risiko, dass die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Marke überschreitet, selbst wenn die Menschheit eine rasche Verringerung der Treibhausgas-Emissionen auf Null bis zu den 2050er-Jahren erreicht – was das optimistischste Szenario darstellt, das in der Klimamodellierung weithin verwendet wird. Frühere Studien waren zu dem Schluss gekommen, dass die Erderwärmung in diesem Fall wahrscheinlich unter zwei Grad gehalten werden könnte.Gemeinsam mit Noah Diffenbaugh von der Stanford University hatte Barnes für die in den «Geophysical Research Letters» vorgestellte Studie KI-gestützt untersucht, wie sich verschiedene Wege zu Netto-Null-Emissionen auf den Temperaturanstieg auswirken. Wenn die Welt bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht, wird das wärmste Einzeljahr dieses Jahrhunderts demnach höchstwahrscheinlich mindestens ein halbes Grad heißer sein als 2023, das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
Für den Fall, dass die Emissionen zu langsam zurückgehen, um bis 2100 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, haben Diffenbaugh und Barnes ermittelt, dass das wärmste Jahr weltweit höchstwahrscheinlich drei Grad wärmer sein wird als das vorindustrielle Basisszenario.
Dringend mehr Anpassung nötig
Die Forscher betonen, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten große Auswirkungen haben wird, selbst wenn alle Anstrengungen und Investitionen in eine Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes so erfolgreich wie nur möglich verlaufen. «Es besteht ein reales Risiko, dass Menschen und Ökosysteme ohne entsprechende Investitionen in die Anpassung Klimabedingungen ausgesetzt werden, die viel extremer sind als das, worauf sie derzeit vorbereitet sind», sagte Diffenbaugh.
Experten gehen davon aus, dass dieses Jahr praktisch sicher das vergangene als das wärmste Jahr ablösen wird. Die globalen Durchschnittstemperaturen werden voraussichtlich um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, also bevor die Menschen begannen, fossile Brennstoffe in großem Umfang zu verbrennen. Das Pariser 1,5-Grad-Ziel zur Eindämmung der Klimakrise gilt damit aber noch nicht als verfehlt, da dafür auf längerfristige Durchschnittswerte geschaut wird.
Selbstverstärkender Effekt?
Bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris haben die Staaten global vereinbart, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, vorzugsweise jedoch auf 1,5 Grad. Die Werte haben eine hohe symbolische Bedeutung, jedoch gibt es laut Experten bisher keine klare Definition für die politisch festgelegten Schwellen.
Ein Team um Helge Gößling von Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven erläuterte kürzlich im Fachjournal «Science», dass es zuletzt ungewöhnlich hohe Werte für die aufgenommene Sonneneinstrahlung gab. Ein Grund dafür sei, dass weniger reflektierende Wolken in geringer Höhe existierten. Für das vergangene Jahr zeigten Satellitenaufzeichnungen demnach den niedrigsten Wert für niedrige Wolken seit dem Jahr 2000 an.
“Derzeit ist den Wissenschaftlern zufolge noch nicht klar, was zur Verringerung der niedrigen Wolken führt. Womöglich könnte der Klimawandel selbst erheblich dazu beitragen, hieß es. In diesem Fall sei mit einer stärkeren zukünftigen Erwärmung zu rechnen als bisher angenommen.”