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Liebesfalle Loverboy: Aufklärung an Schulen gefordert

Liebe macht blind – diese Erkenntnis spielt bei der Loverboy-Methode eine große Rolle. Mädchen glauben an große Gefühle, während ihr vermeintlicher Liebhaber das große Geld im Auge hat.

«Loverboys nutzen die Sehnsucht von Mädchen und Frauen nach Zuneigung, Verständnis und Partnerschaft auf perfide Weise aus», sagt Nordrhein-Westfalens Ministerin für Kinder und Jugend, Josefine Paul.
Foto: Inga Kjer/dpa

Die Gefühle junger Frauen und Mädchen werden skrupellos ausgenutzt, indem sie vorgeben, große Liebe zu empfinden und sie gefügig machen. Dies kann sogar in Prostitution enden. Loverboys nehmen Kontakt mit ihren Opfern im Internet und in der Nähe von Schulen auf. Das emotionale Thema ist der Öffentlichkeit wenig bekannt; auch weil sich die Betroffenen aus Scham nicht trauen, sich gegenüber Lehrern oder Freunden zu offenbaren.

Junge Männer suchen gezielt junge Frauen in schwierigen Lebensphasen, sei es durch Probleme mit Eltern oder Schule, durch Scheidung der Eltern oder Umzug mit Verlust des Freundeskreises. Sie entfremden die Mädchen ihrem sozialen Umfeld – am Ende entpuppt sich der vermeintliche Geliebte als Zuhälter, der die Termine mit Freiern organisiert.

Auch viele Unter-14-Jährige unter den Opfern

Die Loverboy-Methode wird nicht separat in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik erfasst, sondern fällt unter Menschenhandel und Ausbeutung. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland laut Bundeskriminalamt 171 Verfahren mit minderjährigen Opfern registriert, darunter 156 wegen kommerzieller sexueller Ausbeutung. In den Ermittlungen wurden insgesamt 185 Opfer identifiziert, davon waren 152 zwischen 14 und 17 Jahren alt und 24 unter 14 Jahren. Das Alter von neun Opfern konnte nicht festgestellt werden.

Mehr Schutz durch obligatorische Aufklärung an Schulen fordert etwa die SPD im baden-württembergischen Landtag. Das Thema müsse in den Bildungsplänen verankert werden, sodass Lehrkräfte nicht umhinkämen, das brisante Thema im Unterricht zu behandeln: «Die Loverboy-Gefahr ist auch deshalb so groß, weil sie schlichtweg ignoriert wird», sagt der Abgeordnete Daniel Born, der eine Anfrage an die Landesregierung dazu gestellt hat. «Das muss sich ändern, denn für viele junge Frauen ist es eine reelle Gefahr, von erwachsenen Männern emotional abhängig und ausgebeutet zu werden, bis hin zur Prostitution.» Als potenzielle Ansprechpartner müssten auch die Schulsozialarbeiter sensibilisiert werden.

«Man kann wichtige Symptome für das Abgleiten erkennen»

Auch Terre des Femmes (TdF) fordert mehr verbindliche Aufklärung an Schulen. «Man kann als Klassenkamerad und Lehrer wichtige Symptome für das Abgleiten der Mädchen in die Abhängigkeit von einem Mann erkennen, wenn man um deren Strategie weiß», berichtet Abteilungsleiterin Themen und Projekte, Gesa Birkmann. Die Aufklärung im Unterricht sei dabei essenziell, um möglichst viele potenziell Betroffene zu erreichen.

Doch das Interesse an dem Komplex lässt aus Sicht der Organisation zu wünschen übrig. Ein Webinar zu dem Thema, also eine internetbasierte Schulung für Schüler und Lehrer, sei in diesem Jahr erst von einer Handvoll von Schulen angefordert worden. «Das entspricht nicht dem, was wir uns gewünscht haben.» Das baden-württembergische Kultusministerium verweist darauf, dass die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen zwar in den Bildungsplänen nicht vorkomme – es aber in Fächern wie Ethik und Gemeinschaftskunde oder dem für alle Fünftklässler obligatorischen Basiskurs Medienbildung «Anknüpfungspunkte» gebe.

Klamotten und Schmuck als mögliches Indiz

SPD-Mann Born fordert, dass die Loverboy-Masche als statistischer Erfassungsparameter eingeführt wird. Auch Birkmann betont, dass Zahlen und Fakten helfen würden, die von langer Hand geplante Strategie der Täter zu durchleuchten und präventiv einzugreifen. «Alarmglocken bei Mitschülern und Lehrkräften müssen schrillen, wenn Mädchen sich abschotten, sich nicht mehr mit Freundinnen treffen oder auf einmal teure neue Kleidung oder Schmuck tragen.»

Der Hinweis, dass das Thema ja in unterschiedlichen Schulfächern behandelt werden könne, ist aus Sicht von Terre de Femmes nicht angemessen: «Das Thema Loverboy fällt bei der Vielfalt der außerunterrichtlichen Herausforderungen für die Lehrer durch das Raster.»

In Baden-Württemberg fehlt ein landesweit standardisiertes Präventionsprogramm zur Loverboy-Methode. Das Ministerium arbeitet mit der Polizei zusammen, deren Jugendsachbearbeiter und Präventionsbeamte das Thema bei Informationsveranstaltungen für Lehrer, Schüler und Eltern behandeln. Nordrhein-Westfalen hat einen anderen Ansatz: Seit März 2022 sind Schulen dort verpflichtet, Schutzkonzepte gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch zu entwickeln. Die Vorgehensweise der Loverboys ist ein Bestandteil davon.

Annäherung via Internet

Beim Cybergrooming, also der Annäherung an das spätere Opfer über das Internet, werden junge Männer im virtuellen Raum auf Mädchen zugehen. Bei einem Viertel aller Opfer von Menschenhandel entsteht der Erstkontakt über das Internet, vor allem über Anzeigenportale, Dating-Apps und Social Media oder Spiele mit Chatfunktionen. TdF beobachtet eine zunehmende Verlagerung in Richtung Instagram. Diesem Trend wird in Nordrhein-Westfalen zum Jahreswechsel mit einem neuen Präventionskonzept zur Ansprache der Jugendlichen über Apps, QR-Codes, Social Media und Videoclips Rechnung getragen.

Ist eine Vertrauensbasis geschaffen, kommt es zum Treffen. Loverboys täuschen die große Liebe vor, versprechen eine rosige gemeinsame Zukunft. Sie blenden Mädchen mit Komplimenten, protzigen Autos und Geschenken. Nordrhein-Westfalens Ministerin für Kinder und Jugend, Josefine Paul (Grüne), sagt: «Loverboys nutzen die Sehnsucht von Mädchen und Frauen nach Zuneigung, Verständnis und Partnerschaft auf perfide Weise aus.»

Der Loverboy isoliert sein Opfer und wird schnell der wichtigste Mensch in seinem Leben. «Dann kommt das große Theater», sagt Birkmann. Dem Mädchen wird weisgemacht, dass sein anfangs spendabler Freund in Geldprobleme stecke, aus der nur es ihn retten könne.

Es sollte eine begrenzte Zeit dauern, um zur gemeinsamen Zukunft beizutragen. Die Liebesfalle schnappt zu: Das Mädchen denkt, es müsse nur vorübergehend aushelfen. Von dem Geld der Freier sieht die junge Frau nichts und finanziert weiterhin den luxuriösen Lebensstil des Loverboys. Das auf den Mann fixierte Mädchen akzeptiert sein Schicksal und gerät oft in Gewalt, Bedrohungen und Drogenkonsum in der Zwangsprostitution.

Haftstrafe für Düsseldorfer Loverboy

Ein typischer Fall ist der einer jungen Frau, die laut Gericht von einem 28-Jährigen zunächst eine gemeinsame Zukunft versprochen bekam und dann zur Prostitution gedrängt wurde. Das Amtsgericht Frankfurt verurteilte ihn 2022 wegen Körperverletzung, Zuhälterei und Zwangsprostitution zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Die zum Zeitpunkt des Verfahrens 21-jährige Frau arbeitete als Prostituierte im Frankfurter Bahnhofsviertel, um eine gemeinsame Zukunft mit dem Mann zu sichern. Als sie erfuhr, dass er bereits mit einer anderen Frau zusammen war und mit dieser ein Kind hatte, konnte sie sich mithilfe einer Frauenrechtsorganisation befreien.

Im gleichen Jahr wurde ein Rapper, der im Gangster-Stil auftritt, zu einer noch schwerwiegenderen Strafe verurteilt: Das Landgericht Düsseldorf verurteilte ihn zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft wegen versuchter schwerer Zwangsprostitution, Zuhälterei und Körperverletzung.

Im Gegensatz zur Erwachsenenprostitution, die hauptsächlich Frauen aus dem Ausland betrifft, sind laut BKA mehr als 70 Prozent der Opfer von Loverboys deutsche Staatsangehörige. Über die Täter ist wenig bekannt. Nach Angaben von Birkmann sind sie 20 bis 30 Jahre alt und stammen aus dem Umfeld der organisierten Kriminalität.

Scham hält Mädchen vom Offenbaren ab

Die Dunkelziffer sei exorbitant hoch, so Birkmann; die Mädchen sähen die Schuld für ihre Lage bei sich und/oder würden mit Gewalt daran gehindert, sich zu befreien und ihren Peiniger anzuzeigen. Sie fürchteten emotionalen Druck des Loverboys und Stigmatisierung, wenn sie den Schritt zurück in die Normalität versuchten. Die Expertin: «Die Mädchen brauchen nach den schlimmen Erfahrungen eine Therapie, ihr Selbstbewusstsein ist völlig zerstört.»

Bundesweite Anlaufstellen sind unter anderem Hilfetelefone von «Gewalt gegen Frauen», das «Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch» oder die «Nummer gegen Kummer».

dpa