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Riesenhamsterratten erschnüffeln Landminen in Angola

Angola ist eins der Länder mit den meisten Landminen weltweit. Ihre Entschärfung ist mühsam. Jeden Monat gibt es neue Opfer. Jetzt beschleunigen Ratten die Räumung.

Ratte Baraka wittert auf einem Minenfeld nach vergrabenem Sprengstoff.
Foto: Kristin Palitza/dpa

Baraka flitzt eifrig über ein Stoppelfeld und schnüffelt dabei. Sein Sehvermögen ist nicht gut, aber sein Geruchssinn ist extrem ausgeprägt. Denn Baraka, eine Riesenhamsterratte, hat die Aufgabe, vergrabenen Sprengstoff aufzuspüren.

Während der Arbeit ist der Nager in ein kleines Geschirr gespannt, das über einen Draht mit einer langen Leine verbunden ist. An deren gegenüberliegenden Enden steht jeweils ein in Minen-Schutzausrüstung gekleideter Tierführer. Denn Baraka läuft über ein Gebiet, in dem möglicherweise Landminen vergraben sind.

Die Ratte hat bereits etwas gefunden. Sie bleibt stehen, schnüffelt intensiv, kratzt die Erde etwas auf. “Das ist das Zeichen, dass Baraka eine Mine entdeckt hat”, erklärt Raul Ilidio, der menschliche Arbeitspartner der Ratte. Nummerierte Schildchen werden am Rand des Feldes aufgestellt, um die Position des Sprengstoffs zu markieren. Jetzt wissen die menschlichen Minenräumungsexperten genau, wo sie entschärfen müssen.

Baraka ist eine von aktuell zwölf Riesenhamsterratten, die der belgischen Organisation Apopo in Angolas Kwanza Sul Provinz beim Räumen von Landminen helfen, die während des 27-jährigen Bürgerkriegs (1975 – 2002) gelegt wurden. «Heldenratten» werden sie genannt, denn die Nagetiere retten buchstäblich Leben im Nachkriegsland Angola, eins der Länder mit den meisten Landminenopfern pro Jahr weltweit. Seit dem Bürgerkrieg wurden in dem 36-Millionen-Einwohner-Land im südlichen Afrika mehr als 88 000 Verletzungen durch Landminen gemeldet. Die tatsächliche Zahl liegt nach Angaben des internationalen «Landmine Monitor» vermutlich wesentlich höher.

Kein Monat ohne neue Opfer

Die globale Aufmerksamkeit auf den Notstand in Angola wurde erstmals Ende der 1990er Jahre geweckt, als Lady Diana, die britische Prinzessin, das Bürgerkriegsland besuchte und in Schutzkleidung durch ein Minenfeld lief. Die Bilder gingen um die Welt und lösten eine weltweite Debatte aus. Für Angola kam die Aufmerksamkeit jedoch zu spät.

Wenn die Minen erst einmal vergraben sind, ist die Räumung schwierig, langwierig und äußerst gefährlich. Zweiundzwanzig Jahre nach Ende des Bürgerkriegs müssen laut dem jüngsten «Landmine Monitor»-Bericht in Angola noch immer knapp 70 Quadratkilometer geräumt werden. Durchschnittlich kommt das Land bislang etwa sechs Quadratkilometer pro Jahr voran. Das birgt große Gefahren für die Bevölkerung: 2022 wurden demnach 107 Menschen in Angola von Landminen getötet oder verletzt. «Es vergeht kein Monat, ohne neue Opfer», sagt Manuel Agostinho, der Projektmanager von Apopo in Angola.

Apopo macht mit den Riesenhamsterratten als Sprengstoff-Schnüffler gute Fortschritte. Die Nagetiere sind effektiver als Menschen. Ein Minenexperte braucht zwei Tage, um 200 Quadratmeter mit einem Metalldetektor zu räumen, während eine Ratte dies in einer halben Stunde erledigt, erklärt Agostinho. Die Ratten sind nicht nur schnell, sondern auch zu leicht, um eine Antipersonenmine auszulösen, berichtet Shaibu Hamisi, der Ratten-Trainingsexperte von Apopo. Selbst ein Spürhund wäre nicht leicht genug.

Jede Ratte, die in Minenfeldern zum Einsatz kommt, muss ein rigoroses Training durchlaufen. Zunächst werden die Nager sechs bis acht Monate geschult und im Anschluss in regelmäßigen Abständen getestet. «Der Job der Ratten ist keiner, bei dem man Fehler machen darf», sagt Hamisi. Genauigkeit sei noch wichtiger als Schnelligkeit. Denn Fehler können Leben kosten.

Angst gehört zum Alltag

Immer mehr Menschen in Angola können dank der Ratten wieder ruhig ihre Felder bestellen oder im Wald nach Feuerholz suchen. Kinder können draußen herumtollen. Auch die Bewohner des Dorfes Calulo in Kwanza Sul hoffen auf ein solches Maß an Sicherheit, während Apopo gerade die verminten Felder räumt. Denn die Gefahren, die hier immer noch unter der Erde lauern, sind jedem Kind im Dorf bekannt. Und fast jeder kennt eine Familie, die von einem Unfall betroffen ist.

Für Ana José Capagaio, eine alleinstehende Mutter von sieben Kindern, kamen die Heldenratten jedoch zu spät zum Einsatz. Vor drei Jahren verlor die 37-Jährige ihr linkes Bein. Sie habe nur etwa 150 Meter von ihrem Haus Feuerholz gesucht, als sie auf eine Landmine trat, erzählt sie. Die Kleinbäuerin, die ihre Familie bis dahin von dem ernährt hatte, was sie anpflanzen und ernten konnte, ist froh, überlebt zu haben. Doch seit dem Unfall sind Capagaio und ihre Kinder auf Almosen angewiesen. Ihr Bruder, Joao Capagaio, erzählt, die Dorfbewohner hätten von den Landminen gewusst, aber nicht, dass es so viele seien. Jetzt beobachtet er die Fortschritte der Ratten und hofft, dass seine Kinder in Zukunft ohne die lauernde Gefahr von Landminen aufwachsen können.

Millionen von Landminen weltweit

Apropos Heldenratten werden nicht nur in Angola eingesetzt. Auch in anderen von Landminen betroffenen Ländern – Kambodscha, Vietnam, Thailand, Laos und Simbabwe – unterstützen die Sprengstoffspürhunde bei den Räumungsarbeiten. Agostinho hofft, dass ihre schnelle Arbeit dazu beitragen wird, dass die Minenräumung schneller voranschreiten kann. Das Ziel, bis Ende 2025 alle Minen zu entschärfen, wird Angola jedoch nicht erreichen können.

Laut UN-Minenräumdienst (Unmas) sind weltweit noch in 70 Ländern etwa 110 Millionen Landminen vergraben. Wenn man sie mit einem Meter Abstand aneinanderreihen würde, könnten sie fast dreimal die Erde umrunden. Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Kambodscha, Kroatien, Äthiopien und die Türkei zählen zu den Ländern mit der höchsten Minenverseuchung pro Quadratkilometer. Jeden Monat werden laut UN weltweit bis zu 2000 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt. Die meisten Opfer sind Zivilisten, die Hälfte davon Kinder. Unmas zufolge kann eine Antipersonen-Landmine für weniger als 1 Euro hergestellt werden – jedoch kostet es zwischen 300 und 1000 Euro, diese zu entschärfen. Und vor allem viel Zeit.

dpa