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Sepsis: Lebensbedrohlich und doch oft übersehen

Eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall und kann lebensbedrohlich sein. Besteht ein Verdacht, zählt jede Minute. Doch bei der Erkennung gibt es erhebliche Defizite, wie eine Studie zeigt.

Eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden muss. (Archivbild)
Foto: Frank Molter/dpa

Laut dem Aktionsbündnis Patientensicherheit ist eine Sepsis in Deutschland eine der häufigsten Todesursachen. Jährlich leiden 230.000 Menschen an einer Sepsis, wobei mindestens 85.000 daran sterben. Sepsis wird auch als Blutvergiftung bezeichnet. Es wird angenommen, dass viele Fälle unentdeckt bleiben und die tatsächliche Anzahl der Betroffenen deutlich höher ist.

«Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Abwehrreaktion des Körpers auf eine Infektion, die sich über den ganzen Körper ausbreitet», erklärt Wolfgang Bauer, Notfallmediziner am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité. Auslöser kann laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) grundsätzlich jede Infektion sein, zum Beispiel eine Lungenentzündung, eine Harnwegsinfektion, eine Entzündung im Bauchraum oder eine entzündete Wunde. «Der Organismus ist nicht mehr in der Lage, die Infektion einzudämmen und es kommt zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems», so der Arzt.

Immunsystem attackiert sich selbst

Die Folge: «Das Immunsystem reagiert über und fängt an, sich selbst zu attackieren», erklärt der Notfallmediziner. Dadurch würde nicht nur die Infektion bekämpft, sondern der eigene Körper. «Dies kann übergehen in einen septischen Schock mit Multiorganversagen und verläuft unerkannt oder unbehandelt häufig tödlich», so Bauer. «Das ist eine sehr, sehr emotionale Situation, wenn man sieht, wie der Patient trotz maximaler Therapie nicht gerettet werden kann.»

Eine Sepsis sei daher wie ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden müsse. «Je früher sie erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden», sagt Bauer. 

Sepsis-Verdacht laut Studie kaum erfasst

In vielen Fällen bleiben Sepsis-Fälle vom Rettungsdienst unerkannt. Dies wurde von Bauer und der Gesundheitswissenschaftlerin Silke Piedmont in einer gemeinsamen Studie festgestellt, die im Februar veröffentlicht wurde. Sie analysierten rund 221.500 Rettungsdiensteinsätze in Krankenkassendaten und etwa 110.420 Einsätze in Rettungsdienstprotokollen aus dem Jahr 2016 in Deutschland. Das Ziel der Untersuchung war es zu ermitteln, wie oft eine Sepsis tatsächlich im Rettungsdienst erkannt wird und welche Methoden sich dafür am besten eignen.

Die Ergebnisse sind besorgniserregend. «Die Sepsis wurde viel zu selten und im Falle des nicht-ärztlichen Rettungspersonals kein einziges Mal als Verdacht erfasst», sagt Bauer. Notärztinnen und Notärzte dokumentierten demnach nur in 0,1 Prozent der untersuchten Fälle den Verdacht auf einen septischen Schock. 

Hohe Mortalitätsrate

Die Studie zeigt auch, dass der Anteil der Patienten im Rettungsdienst, bei denen im Krankenhaus eine Sepsis diagnostiziert wurde (1,6 Prozent), nur leicht unter dem von Herzinfarkten (2,6 Prozent) und Schlaganfällen (2,7 Prozent) lag, es aber deutliche Unterschiede bei der Mortalitätsrate gab. Fast 32 Prozent aller Sepsis-Patienten starben innerhalb von 30 Tagen nach der Nutzung des Rettungsdienstes, während es beim Herzinfarkt rund 13 Prozent und beim Schlaganfall rund 12 Prozent waren.

Rettungsdienstpersonal sollte deutschlandweit eigentlich eine standardmäßige Anweisung haben, bestimmte Vitalparameter zu messen, erklärte Piedmont, Erstautorin der Publikation und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zentralen Notaufnahme der Charité am Campus Benjamin Franklin. Dazu zählten die Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffgehalt im Blut, Körpertemperatur, Atemfrequenz und eine mögliche Veränderung des Bewusstseins. «Diese Parameter können einen sehr guten Hinweis darauf geben, ob eine Sepsis vorliegt.» Oft werde aber noch nach Bauchgefühl entschieden. 

Syndrom nicht ausreichend bekannt

Um dies zu ändern, ist es zunächst wichtig, dass überhaupt an eine Sepsis als mögliche Diagnose gedacht wird, meint Bauer. Allgemein mangelt es noch an Bewusstsein für das Syndrom, auch in der Bevölkerung ist es nicht ausreichend bekannt. Zu den Symptomen gehören vor allem eine plötzliche Wesensveränderung oder eine Veränderung des Bewusstseins, wie zum Beispiel Verwirrtheit, niedriger Blutdruck und schneller oder erniedrigter Puls. Auch eine niedrige Sauerstoffsättigung, Kurzatmigkeit und eine niedrige oder erhöhte Körpertemperatur sind Merkmale.

Zur Diagnose einer Sepsis kann das Rettungsdienstpersonal verschiedene Messinstrumente zur Unterstützung verwenden, um Vitalparameter abzufragen und entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Laut der Studie erkennt das Bewertungssystem aus verschiedenen Messungen, das National Early Warning Score 2 (NEWS2), fast drei Viertel der Sepsis-Fälle. In Deutschland wird diese Art der Überprüfung jedoch nicht in der Sepsis-Leitlinie erwähnt und nur selten angewendet.

Auch Menschen, für die eine Sepsis nicht tödlich endet, leiden sehr häufig an Lang- und Spätfolgen, wie Piedmont erklärt. Das können etwa Konzentrationsprobleme und Seh- oder Sprachstörungen, aber auch Depressionen sein. Bei einigen Menschen sind den Angaben zufolge Amputationen notwendig, weil Finger oder ganze Gliedmaßen absterben. «Sepsis kann jeden treffen», sagt die Gesundheitswissenschaftlerin. Umso wichtiger sei es, mehr Bewusstsein für die Existenz und die Folgen des Syndroms zu schaffen.

Schutz bieten Hygiene und Impfungen

Nach Angaben der BZgA können sich Menschen am besten vor einer Sepsis schützen, indem sie versuchen, Infektionen zu verhindern. Wichtige Maßnahmen sind regelmäßiges und gründliches Händewaschen, gute Toilettenhygiene und sorgfältiger Wundschutz. Darüber hinaus gibt es Impfungen gegen einige der häufigsten Auslöser einer Sepsis, wie z.B. Pneumokokken, Meningokokken oder die Grippe.

dpa