Siedlungen und Verkehrswege zerschneiden die Landschaft. Darunter leiden auch Rothirsche, an denen sich zunehmend Missbildungen durch Inzucht zeigen. Doch dies ist nur die Spitze des Eisberges.
Straßen und Siedlungen sorgen für Inzucht bei Rotwild
Die Zerteilung ihrer Lebensräume durch Straßen oder Siedlungen führt bei Rothirschen und andere Tieren zunehmend zu Inzucht. «Wir wissen seit den 1990er Jahren, dass die Lebensraumzerschneidung die Rotwildpopulationen, und auch die Populationen vieler anderer Tierarten, verinselt, wodurch sie genetisch verarmen», sagt der Wildbiologe Frank Zabel vom Landesjägerverband Schleswig-Holstein im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Unter Inzucht wird die Paarung von nahe verwandten Tieren verstanden.
Die Landschaften werden hauptsächlich durch Verkehrswege und Siedlungen aufgeteilt, die immer mehr Platz einnehmen. Dies führt bundesweit dazu, dass scheue Tiere an abgeschnittenen Orten leben, an denen kein genetischer Austausch stattfindet.
Laut dem Jagdverband gab es in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl von dokumentierten Fällen schwerer Missbildungen durch Inzucht bei Rothirschen – so können beispielsweise Unter- oder Oberkiefer der Tiere verkürzt, der Schädel verdreht oder die Zahnreihen versetzt sein. Diese sichtbaren Nachteile sind in Deutschland und Mitteleuropa zu finden.
Die Missbildungen seien noch die Ausnahme – die genetische Verarmung durch Inzucht hingegen die Regel. Diese reduziere die Anpassungsfähigkeit der Arten an die Umwelt: «Je enger mein Genom ist an den entscheidenden Stellen, umso weniger kann ich auf Veränderungen reagieren», erklärt Zabel.
Auch Konsequenzen für andere Tierarten
Nach Ansicht des Vorstands der Deutschen Wildtier Stiftung sind die Inzuchtnachweise bei Rotwild nur «die Spitze des Eisberges». «Wenn es der Hirsch nicht schafft, dann schaffen es die kleineren Tierarten natürlich erst recht nicht, weil die nicht so weite Strecken ziehen», sagt Klaus Hackländer. Der Hirsch stehe stellvertretend für eine ganze Reihe von Tierarten, wie etwa den Luchs.
Wildtierbiologe fordert neues Flächenmanagement
Um dem Problem entgegenzuwirken, plädiert der Wildtierbiologe für einen bundesweiten Wildwegeplan: «Wir brauchen ein Management von Flächen und Korridoren, damit die Tiere den Weg finden und sich auch auf der anderen Seite fortpflanzen können.»
Es wäre ideal, mindestens 100 Wildquerungshilfen über Verkehrswege hinweg zu haben – wie auch vom Deutschen Jagdverband gefordert. Wenn sich nicht für solche Korridore eingesetzt wird, besteht die Gefahr, dass Tierarten wie der Rothirsch in großen Teilen Deutschlands keine Überlebenschance mehr haben, warnt Hackländer.