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Studie: Männer erhalten häufiger Schmerzmittel als Frauen

Wer starke Schmerzen hat, bekommt in der Notaufnahme etwas dagegen? Das stimmt nicht immer. Bei Frauen denken Ärzteschaft und Pflegepersonal möglicherweise häufiger: Die übertreiben ohnehin.

Eigentlich sollten alle Patienten mit starken Schmerzen ein Schmerzmittel erhalten: Doch das passiert nicht immer.
Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Frauen erhalten nach dem Aufsuchen der Notaufnahme seltener ein Rezept für Schmerzmittel als Männer – zumindest legt das eine Studie mit Daten aus den USA und Israel nahe. Für den geschlechtsspezifischen Unterschied spielt es demnach auch keine Rolle, ob die Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin durchgeführt wird. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin «PNAS» veröffentlicht.

«Diese Unterbehandlung der Schmerzen weiblicher Patienten könnte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Frauen haben und möglicherweise zu längeren Genesungszeiten, zu Komplikationen oder chronischen Schmerzzuständen führen», erklärt Shoham Choshen-Hillel. Die Professorin der Hebrew University of Jerusalem (Israel) leitete die Studie, für die mehr als 20.000 elektronische Patientenakten aus Israel und den USA ausgewertet wurden. 

Ob man die Erkenntnisse auf Deutschland übertragen könne, lasse sich wissenschaftlich nicht beantworten, sagt Felix Walcher, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). «Zur Medikamentengabe in Notaufnahmen – gar zu einer geschlechterspezifischen Medikation – erheben wir in Deutschland bislang keine Daten.»

Annahme: Frauen übertreiben

Choshen-Hillel und Kollegen vermuten hinter den Ergebnissen ihrer Studie eine geschlechtsspezifische Verzerrung: «Es wird angenommen, dass Frauen ihre Schmerzen im Vergleich zu Männern übertrieben beschreiben», führen sie aus. Dieses Vorurteil sei unter Männern wie Frauen im medizinischen Dienst weit verbreitet. 

Laut den Forschern könnte ein weiterer Grund sein, dass Männer häufiger nach Schmerzmitteln fragen als Frauen. Die Forschergruppe plädiert für Schulungen des Klinikpersonals, um einer Unterversorgung von Frauen mit Schmerzmitteln entgegenzuwirken.

Unterschiede – egal, wie stark die Schmerzen waren

Die israelischen Daten zeigten, dass 38 Prozent der Frauen, die mit Schmerzen in die Notaufnahme kamen, ein schmerzstillendes Medikament verschrieben bekamen. Bei Männern lag dieser Anteil deutlich höher, nämlich bei 47 Prozent. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigten sich mit leichten Variationen bei leichten, mittelstarken und starken Schmerzen, die von den Patientinnen und Patienten angegeben wurden. Alle Altersgruppen waren in ähnlicher Weise von diesem Unterschied betroffen.

Auch mussten Frauen durchschnittlich 30 Minuten länger in der Notaufnahme auf eine Behandlung warten als Männer. Hinzu kommt: «Wir haben festgestellt, dass Krankenschwestern Schmerzwerte für Frauen seltener erfassen als für Männer», schreiben die Studienautoren und -autorinnen. Die Stärke von Schmerzen wird zum Beispiel auf einer Skala von 1 bis 10 angegeben.

Trotz der medizinischen Richtlinien, die vorschreiben, dass alle Patienten mit starken Schmerzen ein Schmerzmittel erhalten sollten, wurde dies laut den Aufzeichnungen aus Israel nur bei 50 Prozent der Patientinnen und 59 Prozent der Patienten umgesetzt. Die Analyse der amerikanischen Daten bestätigte alle diese Trends, wenn auch mit leicht unterschiedlichen Prozentsätzen.

Experiment bestätigt Krankenhaus-Daten

Die Forschenden haben das Ärzte- und Pflegepersonal des University of Missouri Health Care Hospitals zu einem Experiment eingeladen. Insgesamt nahmen 109 Personen teil, wovon 96 Prozent Pflegepersonal und 85 Prozent Frauen waren. Sie erhielten entweder die Beschreibung eines Patienten mit starken Rückenschmerzen oder einer Patientin mit starken Rückenschmerzen – abgesehen vom Geschlecht waren die Beschreibungen identisch.

Von dem teilnehmenden Gesundheitspersonal wurde die Schmerzintensität von Patientinnen niedriger eingestuft als die von Patienten. «Die Ergebnisse der klinischen Szenariostudie legen nahe, dass Gesundheitsdienstleister die Schmerzberichte von Frauen im Vergleich zu denen von Männern unterschätzen», heißt es im Fachartikel.

Infos aus Deutschland über Notaufnahmeregister möglich

Walcher, der auch Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg ist, befürwortet Untersuchungen wie die zur Schmerzmittelgabe auch in Deutschland. Die medizinische Versorgung in verschiedenen Ländern unterscheide sich fundamental. «Entsprechend sollte man hier wirklich die Fakten sprechen lassen – und die Studie zum Anlass nehmen, in Deutschland genauer hinzuschauen.» Über das sogenannte AKTIN-Notaufnahmeregister wäre es möglich, erste anonymisierte Informationen in einigen Monaten zu erhalten.

dpa