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Todesflug Rio-Paris: Kein Ende der Aufarbeitung in Sicht

228 Menschen sterben 2009 bei dem Absturz einer Air-France-Maschine zwischen Rio de Janeiro und Paris mitten im Atlantik. Bald jährt sich die Katastrophe zum 15. Mal. Wie steht es um die Aufarbeitung?

Ein Wrackteil der abgestürzten Air-France-Maschine AF447 wird von einem Rettungsteam der brasilianischen Marine im Atlantik geborgen.
Foto: epa/dpa

Es sind fast 15 Jahre vergangen, seitdem ein Air-France-Flugzeug auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris abstürzte und 228 Menschen im Atlantik zu Tode riss. Die rechtliche Aufarbeitung des Unglücks, das sich am Samstag jährt, ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Die Flugzeugbauer Airbus und die Fluggesellschaft Air France stehen in Paris erneut wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung vor Gericht. Die Angehörigen pendeln zwischen Hoffnung und Zermürbung angesichts ihres langjährigen Kampfes um Aufklärung.

Die Air-France-Maschine des Flugs AF 447 geriet am 1. Juni 2009 auf dem Weg von Rio in die französische Hauptstadt in eine Unwetterfront und verschwand von den Radarschirmen. Der Airbus vom Typ A330 stürzte in den Atlantik. 228 Menschen starben, darunter auch 28 Deutsche. Die Ursache blieb lange unklar. Erst im Mai 2011 wurden die letzten Leichen und der Flugdatenschreiber aus etwa 4000 Metern Tiefe geborgen.

«Perfide Verschleppungspolitik»

Eines der Opfer war die 31-jährige Ines. Wenn ihr Vater Bernd Gans aus dem bayerischen Vaterstetten auf die Aufarbeitung des Todesflugs zurückschaut, spricht er von «einer perfiden Verschleppungspolitik», etwa bei der Suche nach dem Wrack und dem juristischen Hin und Her. Dass ein Berufungsgericht Airbus und Air France 2021 schließlich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auf die Anklagebank schickte, sei für die deutschen und französischen Hinterbliebenen eine Genugtuung gewesen, schildert der 83-jährige Vorsitzende der deutschen Hinterbliebenenvereinigung HIOP AF447. 

Vor etwa einem Jahr wurden jedoch die beiden Unternehmen freigesprochen. Obwohl sie nachlässig oder unvorsichtig gehandelt haben könnten, wurde vom Gericht entschieden, dass diese strafrechtlich nicht relevant sind, da nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass die Verfehlungen zum Absturz geführt haben. Gans bezeichnet die Begründung als willkürlich. Die französische Hinterbliebenenorganisation Entraide et Solidarité AF447 äußerte, dass das Urteil sie in einen Schockzustand versetzt habe.

Der Fall behandelte die Frage, ob Air France ihre Piloten besser hätte schulen und auf Extremsituationen vorbereiten können. Airbus wurde vorgeworfen, die Folgen eines Ausfalls der für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Pilotensonden unterschätzt zu haben. Diese Sonden waren während des Fluges eingefroren. Ein Expertengutachten aus dem Jahr 2012 kam zu dem Schluss, dass die Crew danach mit der eigentlich beherrschbaren Situation überfordert war.

Fluggesellschaften weisen Verantwortung zurück

Airbus und Air France hatten die Schuld am Absturz abgelehnt. Trotz des Freispruchs wurde im Urteil festgestellt, dass Airbus nicht ausreichend auf Vorfälle mit den Sonden reagiert hatte und Informationen zurückgehalten hatte. Air France hätte ihre Piloten besser auf Probleme mit den Sonden hinweisen können.

Die Staatsanwaltschaft hat Berufung gegen das Urteil eingelegt, um die Angehörigen zu beruhigen, von denen rund 500 als Nebenkläger auftraten. Bisher gibt es jedoch keinen Termin für das Berufungsverfahren, wie aus Justizkreisen zu hören war.

Danièle Lamy von der französischen Hinterbliebenenorganisation steht dem Prozess durchaus skeptisch gegenüber. «Sollen wir Familien der Opfer die Qualen eines vergeblichen und fruchtlosen Versuchs erneut erleben, noch einmal Monate der juristischen Unruhen erleiden?» Für die Opfer werde man nicht resignieren, damit die Verfehlungen anerkannt würden und ein Schuldspruch gesprochen werde.

Auch Gans hofft darauf, dass das Verfahren diesmal anders ausgeht – besonders mit Blick auf die zwei Abstürze von Boeingmaschinen des Typs 737-Max in den Jahren 2018 und 2019, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen. «Das ist dort eine ähnliche Situation gewesen, aber man hat Konsequenzen gezogen», meint Gans. Die Flugzeuge wurden am Boden gehalten. 

Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA hat die Sicherheitsgefahr bei den vor dem Todesflug Rio-Paris gemeldeten Problemen mit den Sonden nicht ausreichend bewertet und kein Startverbot verhängt. Gans möchte daher auch den damaligen Chef der EASA, Patrick Goudou, gerne vor Gericht sehen.

Geldstrafen bis zu 225.000 Euro

Air France und Airbus drohen in dem Verfahren Geldstrafen bis zu 225.000 Euro. Doch den Hinterbliebenen geht es nicht um die Buße für die Konzerne. Man möchte einen Beitrag für mehr Sicherheit im Luftverkehr leisten, sagt Gans. «Und ich würde sagen, es ist tatsächlich eine andere Situation geworden.» 

Air France habe die Ausbildung verbessert. Airbus und Thales würden sich wohl genauer überlegen, was sie in den Verkehr bringen. Und: «So einfach die Dinger unter den Teppich zu kehren, das geht nicht mehr», sagt Gans. Es ginge neben dem Erinnern um das Weiterdenken, um den Luftverkehr. «Insofern kann man das wirklich nicht hoch genug einschätzen, dass auch die Rechtsprechung sich der Probleme annimmt.»

Den Jahrestag des Absturzes werden Gans und seine Frau abseits des juristischen Gerangels um die Verantwortung für den Tod ihrer Tochter und 227 anderer Menschen in einer Kirche verbringen. Nach dem Unglück haben sie und Mittrauernde dort Orgelpfeifen auf den Namen ihrer Tochter Ines gestiftet. «Wir fühlen uns mit unserer Tochter dort sehr verbunden», sagt Gans.

dpa