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Top-Songs werden immer simpler

Musikgeschmack ändert sich. Doch gibt es seit Jahrzehnten einen Trend: Songs werden simpler – sowohl ihre Melodie als auch der Wortschatz. Bei der Angabe von Gründen sind Forscher vorsichtig.

Populäre Songs sind simpler geworden
Foto: Daniel Karmann/dpa

Populäre Songs sind in den vergangenen 70 Jahren immer schlichter geworden. Das betreffe sowohl die Rhythmen als auch die Melodien, berichtet ein Forscherduo im Fachmagazin «Scientific Reports». Bewerten wollen die Wissenschaftler die Entwicklung nicht: Das Ergebnis darauf zurückzuführen, dass neuere Musik «schlecht» ist oder dass ihre Hörer einen «schlechten Geschmack» haben, «würde über die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinaus in den Bereich der subjektiven Meinung gehen», lautet ihr Statement dazu.

Madeline Hamilton und Marcus Pearce von der Queen Mary University of London haben die markantesten Melodien – in der Regel die Gesangsmelodie – von Liedern analysiert, die zwischen 1950 und 2022 die Top-5-Songs des jeweiligen Jahres in den Billboard-Jahresend-Singles-Charts waren. Insgesamt wurden also mehr als 350 Lieder einbezogen.

Anzahl der pro Sekunde gespielten Noten stieg stark

Die statistische Analyse zeigt, dass im Laufe der Jahre die Komplexität der Songrhythmen und Tonhöhenarrangements abnahm, während die durchschnittliche Anzahl der pro Sekunde gespielten Noten stark stieg. Es gab zwei Sprünge in den Jahren 1975 und 2000 sowie einen kleineren im Jahr 1996, die alle mit einer signifikanten Reduzierung der Komplexität einhergingen.

Die Wissenschaftler verbinden die Abnahme von 1975 mit dem Entstehen neuer Genres wie Disco und New Wave. Der Aufstieg des Hip-Hops in den 90er-Jahren und zur Jahrtausendwende dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Genres spielen eine Rolle

Hamilton und Pearce vermuten, dass die Reduzierung der melodischen Komplexität auf eine Erhöhung der Komplexität anderer musikalischer Elemente wie die gestiegene Anzahl von Noten zurückzuführen sein könnte. Möglicherweise soll dadurch verhindert werden, dass die Musik für Hörer zu überwältigend klingt. Die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Instrumente könnte außerdem dazu führen, dass musikalische Komplexität verstärkt durch Kreativität im Klang zum Ausdruck gebracht wird.

Eine weitere Theorie sei, dass der musikalische Trend den sprachlichen spiegele: «Das digitale Zeitalter verlangt zunehmend die Komprimierung der Sprache, damit das, was wir zu sagen haben, unter Zeichengrenzen bleibt und in Überschriften passt.» Damit verringere sich die Komplexität der Botschaften und vielleicht auch die Fähigkeit, komplexe Ideen zu verdauen – in der Populärmusik könne es genauso sein. Sprich: Womöglich haben Menschen nicht mehr die geistige Kapazität für komplexe Songs.

Die Ergebnisse entsprechen einer Analyse von Texten aus über 350.000 englischsprachigen Liedern, die 2023 vorgestellt wurde. Laut dieser Analyse wird westliche Popmusik immer einfacher und wütender. Die Untersuchung von Rap-, Country-, Pop-, Rock- und R&B-Songs aus den Jahren 1980 bis 2020 zeigt, dass die Struktur der sogenannten Lyrics immer einfacher wurde. Textpassagen werden häufiger wiederholt, Refrains nehmen mehr Platz ein und der verwendete Wortschatz ist kleiner geworden.

Lieder werden inzwischen anders konsumiert 

Dem Forschungsteam zufolge könnte die Entwicklung unter anderem damit zusammenhängen, wie Lieder inzwischen konsumiert werden. Musikschaffende produzierten ihre Songs so, dass sie möglichst oft «gestreamt, geklickt und gesehen werden», wie Elisabeth Lex von der Technischen Universität Graz erklärte. Repetitiv, einfach und dicht – das fördert demnach die Entwicklung zum Ohrwurm. 

dpa