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Überfischung bedroht Fischbestände weltweit

Studie zeigt: Empfehlungen zu optimistisch, Bestände schrumpfen, dringend Korrektur nötig

Viele Fische, wie etwa der Dorsch, sind durch Überfischung bedroht. (Illustration)
Foto: Axel Heimken/dpa

Viele Fischbestände weltweit sind durch Überfischung bedroht oder bereits zusammengebrochen. Das liegt einer Studie zufolge nicht nur daran, dass wissenschaftlich errechnete Höchstfangmengen nicht eingehalten wurden. Vielmehr seien bereits diese Empfehlungen zu hoch angesetzt, berichten Forschende im Fachmagazin «Science». Die Größe von Beständen und die Dynamik ihrer Erholung seien bisher viel zu optimistisch eingeschätzt worden.

Die Grundlage zur Regulierung der globalen und regionalen Fischerei liefern Fischerei-Modelle und werden als entscheidendes Instrument im Kampf gegen Überfischung angesehen. Bislang wurde als Hauptursache für Überfischung angesehen, dass die Fangmengen in der Fischereipolitik höher festgelegt wurden als von den Modellen empfohlen.

Deutliche Überschätzungen

Ein Team um Graham Edgar von der University of Tasmania (Australien) hat Daten von 230 Fischgründen weltweit analysiert und mit den Werten aus Modellen verglichen. Es wurde festgestellt, dass die Empfehlungen oft übertrieben waren, wenn es darum ging, wie viele Fische einer Art noch vorhanden sind und wie schnell sich ein Bestand erholen kann. Insbesondere bei bereits überfischten Populationen war die Abweichung der verwendeten Modelle erheblich.

Aber auch als erholt eingestufte Bestände schrumpften der Analyse zufolge in Wirklichkeit oft weiter. «Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre», erklärte Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, Mitautor eines Kommentars zu der im Fachblatt «Science» veröffentlichten Studie. 

Das Problem betreffe keineswegs nur die Vergangenheit. «Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen», so Froese.

Überfischt statt nachhaltig befischt

Der Studie zufolge sind fast ein Drittel jener Bestände, die von der Welternährungsorganisation (FAO) als «maximal nachhaltig befischt» eingestuft werden, in Wirklichkeit überfischt. Als nachhaltig gilt Fischerei, wenn nicht mehr Fisch entnommen wird als nachwächst. 

Es wird auch behauptet, dass weit mehr Bestände als angenommen bereits zusammengebrochen sind: 85 Prozent mehr Populationen als bisher angenommen sind kollabiert, das heißt, sie sind auf unter 10 Prozent ihres historischen Maximums geschrumpft.

Froese und sein Co-Autor Daniel Pauly von der University of British Columbia (Kanada) erklären in ihrem Kommentar, dass die Modelle teilweise mehr als 40 Parameter verwenden. Dies beinhaltet Merkmale zur Lebensweise der Art, Fangdetails und den erforderlichen Fischereiaufwand. Froese und Pauly sind der Ansicht, dass diese Vielzahl von Variablen die Schätzungen unnötig komplex macht. Darüber hinaus greifen die Modellierer bei einigen Parametern auf kaum belastbare Werte zurück.

Hochkomplexe Modelle

«Warum die zum Teil sehr unwahrscheinlichen Vorhersagen der offiziellen Modelle akzeptiert wurden und werden, ist die große Frage», so Froese. Die Fischereiwissenschaft habe die Politik jahrelang falsch beraten und trage damit einen Teil der Verantwortung für die überfischten und zusammengebrochenen Bestände, auch in Europa.

«Überfischung ist besonders im Mittelmeer, in Westafrika und in Südasien ein Problem», erläuterte Boris Worm von der Dalhousie University (Kanada), der nicht an der Studie beteiligt war. Weltweit seien viele küstennahe Fischereien schon lange zusammengebrochen und würden gar nicht mehr erfasst. Die aktuelle Studie sei eine Warnung, «dass etliche Bestände, die noch als gut bewirtschaftet gelten – zum Beispiel auch in Europa – in Wirklichkeit schlechter dastehen könnten als gedacht».

Ostsee-Beispiel: der Dorsch

Das Phänomen sei zum Beispiel für den Dorsch der westlichen Ostsee gezeigt, erklärte Christian Möllmann von der Universität Hamburg. «Die oft zu positive Schätzung der Biomasse hat meiner Einschätzung nach auch zur Überfischung des Bestandes beigetragen.»

Es ist notwendig, die Bewertungsverfahren zu überarbeiten – hin zu einfacheren, realistischeren Modellen, lautet die Schlussfolgerung von Froese und Pauly. Außerdem sollte das Vorsorgeprinzip stärker berücksichtigt werden – bei Unsicherheiten sollten eher konservative Schätzungen verwendet werden.

Möllmann wiederum sieht die Güte der Modelle nicht als entscheidend an. «Wichtiger ist meiner Einschätzung nach der Wille der Fischereiindustrie, nicht jeden Fisch aus dem Meer zu ziehen.» Der Wille und das Einsehen, umsichtig und zurückhaltend zu fischen, sei oft nicht erkennbar. 

An der Ostsee ist deutlich zu erkennen, dass trotz jahrelanger Warnungen von Wissenschaftlern und Umweltschutzverbänden alle einst wichtigen Dorsch- und Heringsbestände so stark überfischt wurden, dass eine Erholung weitgehend unsicher oder sogar unwahrscheinlich ist.

dpa