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Die Macht des Negativen: Warum wir uns mehr auf schlechte Nachrichten konzentrieren

Negatives bleibt im Gedächtnis, während Positives oft übersehen wird. Der Negativitätseffekt beeinflusst unser Denken und Handeln im Alltag.

Der Mensch nimmt negative Informationen stärker wahr als positive. (Symbolbild)
Foto: Sina Schuldt/dpa

Es kann schwierig sein, all die düsteren Nachrichten des letzten Jahres zu verarbeiten. In der Ukraine, im Nahen Osten und an vielen anderen Orten gab es Kriege, die deutsche Bundesregierung zerbrach, Jahrhunderthochwasser verwüsteten viele Länder, Menschen starben beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg und es gab zahlreiche Todesfälle bei Passagierflugzeugabstürzen.

Alles das wird in Erinnerung bleiben. Viel eher als die Milliarden Menschen, die sich täglich friedlich begegneten. Oder die unzähligen Flugzeuge, die sicher landeten. Oder auch die guten Nachrichten, etwa dass die Abholzung im Amazonas zurückging oder Deutschland die Fußball-EM im eigenen Land feierte.

Im privaten Bereich, genauso wie im Weltgeschehen, bleibt Negatives eher im Gedächtnis als Positives. Man behält eher die eine negative Bemerkung zur neuen Frisur im Kopf als die vielen positiven Kommentare dazu.

«Während uns ein Wort der Kritik zu vernichten vermag, kann es uns durchaus kaltlassen, wenn uns jemand mit Lob überhäuft. Wir sehen das eine feindselige Gesicht in der Menge, während uns so manches freundliche Lächeln entgeht», schreiben der US-amerikanische Sozialpsychologe Roy Baumeister und der ebenfalls amerikanische Wissenschaftsjournalist John Tierney in ihrem 2019 erschienenen Buch «Die Macht des Schlechten». 

Die verzerrende Macht des Negativen

Schon ein einziges stark negatives Erlebnis könne ein lebenslanges Trauma auslösen, ein Pendant dazu im Positiven existiere nicht, schreiben die beiden. All das nennen sie «Negativitätseffekt» oder «Negativitätsdominanz», im Englischen «Negativity Bias».

Baumeister und Tierney bezeichnen das Phänomen in ihrem Buch auch als «verzerrende Macht des Negativen» und beschreiben es als «menschliche Neigung, sich von negativen Ereignissen und Emotionen stärker beeinflussen zu lassen als von positiven».

Die Psychologen Lucas LaFreniere und Michelle Newman haben in einer Studie von 2020 festgestellt, dass die Menge der negativen Emotionen bei Menschen in der Regel übermäßig hoch ist. Mehr als 90 Prozent der täglichen Sorgen der Menschen seien völlig nutzlos, da die Probleme, um die sie sich drehen, niemals eintreten würden.

Evolution als Ursache?

Der Grund für das Phänomen scheint im Negativitätseffekt in der Evolution zu liegen – denn früher hatte er eine Funktion: Vor Tausenden von Jahren war es entscheidend für das Überleben, sich zu merken, welche Früchte schwer verdaulich oder sogar giftig waren, wo Bären lebten oder Raubtiere auf Beutezug gingen. Der Fokus auf diese Gefahren hat damals also Leben gerettet.

Heutzutage gilt das immer noch, zum Beispiel bei erhöhter Vorsicht beim Autofahren aufgrund bekannter Horrorunfälle. Allerdings birgt dieser Effekt auch eine große Gefahr: Die Dominanz der Negativität kann das Ansehen von Personen zerstören, da sich auf ihre Fehler konzentriert wird, schreiben Baumeister und Tierney. Dies kann dazu führen, dass Unternehmen bankrott gehen, wenn Aktionäre gehört haben, dass es ihnen schlecht geht.

Der Effekt fördert auch das Stammesdenken, Rassismus, grundlose Ängste und Zorn, beispielsweise gegenüber Flüchtlingen, weil sich Geschichten über gefährliche Straftäter unter ihnen eher einprägen als Geschichten über die Friedvollen. Außerdem vergiftet die Dominanz der Negativität die politische Öffentlichkeit und führt dazu, dass Demagogen gewählt werden, da sie die Ängste und Sorgen der Menschen ausnutzen.

Mehr Aufmerksamkeit und tiefere Verarbeitung

Christian Unkelbach ist Sozialpsychologe an der Uni Köln, der Negativitätseffekt ist eines seiner Kernthemen. Ihm zufolge geht es dabei im Grunde darum, dass negative Informationen im Durchschnitt mehr Aufmerksamkeit von Menschen bekommen als positive. Zudem würden sie tiefer verarbeitet und hätten mehr Einfluss auf unsere Entscheidungen.

Als klassischen Erkläransatz nutzt auch Unkelbach die Evolution: «Nehmen wir extrem vereinfacht an, Vorfahr A achtet mehr auf negative Informationen als Vorfahr B. Vorfahr A entdeckt dann das Raubtier vor Vorfahr B; A entkommt und B wird gefressen.»

Der Mensch, der sich die negativen Informationen über Gefahren besser einprägt, lebt also länger, weil er vorsichtiger ist. Auf diese Weise gibt er diese Herangehensweise auch über Gene und Erziehung weiter.

Unkelbachs Forschungsteam hat zudem einen Erklärungsansatz dazu, wie Lernprozesse ablaufen. Negative Informationen seien abseits der Nachrichten viel seltener als positive, und zudem viel diverser, da es sehr viel mehr Arten gebe, schlecht zu sein, also solche, gut zu sein. «Menschen achten mehr auf seltene Informationen – und die höhere Diversität führt zu einer tieferen Verarbeitung», erklärt Unkelbach.

Praktische Vorteile und fatale Nachteile

Im Alltag von heute kann der Effekt auch von Vorteil sein – zum Beispiel, wenn die Information, dass Milch schnell verdirbt, dazu führt, dass man aufpasst und nie schlechte Milch trinkt.

Doch laut Unkelbach gibt es auch eine «fast tragische Konsequenz» dieses eigentlich nützlichen Effektes. «Menschen erleben die Welt als hart, unfreundlich und negativ. Wenn Sie alle negativen Informationen eines Nachrichtentages zusammenfassen, Kriege, Hunger, soziale Probleme und allgemeine Ungerechtigkeit, dann sieht das Leben düster aus.» 

Auch Unterhaltung und Politik betroffen

Unkelbach sagt, dass der Negativitätseffekt beim Medienkonsum kaum in einem anderen Bereich so stark ausgeprägt sei. Dies gelte nicht nur für die Nachrichten, die von negativen Schlagzeilen geprägt seien, sondern auch für Unterhaltungsmedien.

«Da Unterhaltung auch Abwechslung bedeutet und negative Informationen diverser sind, sind negative Medieninhalte oft abwechslungsreicher und damit auch unterhaltsamer», erklärt der Sozialpsychologe. «Ein Film über eine glückliche Beziehung und das tägliche, normale Leben ist weniger unterhaltsam als ein Film über eine Trennung und den darin enthaltenen Streit.»

Auch in der Politik spielt der Negativitätseffekt eine Rolle, da sich mehr auf die Fehler von Regierungen und Politikern als auf ihre Erfolge konzentriert wird. So bleibt eine einzige Lüge viel stärker im Gedächtnis als viele verschiedene wahre Aussagen, sagt Unkelbach. Dies beeinträchtigt die Integrität der Politiker, was zu Politikverdrossenheit führen kann.

Lösungsvorschläge

Doch was können Menschen gegen diese evolutionäre Prägung tun? Unkelbach zufolge könne «ein aktiver Fokus auf die positiven Erlebnisse im Leben hilfreich sein». Einige Menschen schreiben zum Beispiel ein Tagebuch, in dem sie positive Geschichten festhalten. 

Zudem müssten Politik und Medien es schaffen, «interessante und abwechslungsreiche positive Inhalte zu generieren», meint Unkelbach. «Allerdings liegt es auch der Verantwortung der Medien, Missstände und Probleme aufzuzeigen.» 

Er sagt, dass es hilfreich sein kann zu verstehen, dass Medien und Politik oft Probleme und Negatives betonen und dadurch kein realistisches Bild der Welt vermitteln. Vielleicht kann allein das Wissen über den Negativitätseffekt helfen, sich davon nicht beeinflussen zu lassen.

Das bestätigen auch Baumeister und Tierney in ihrem Buch: «Indem wir den Negativitätseffekt durchschauen und uns über unsere angeborenen Reaktionen hinwegsetzen, können wir destruktive Muster durchbrechen und positiver – effektiver – in die Zukunft sehen.» Das sei jetzt in der digitalen Welt, «die die Macht des Negativen potenziert», wichtiger denn je. Der rationale Teil unseres Hirns könne dabei helfen, sich von der aus der Zeit gefallenen Fokussierung auf das Negative loszusagen und sich stattdessen Positivem zuzuwenden.

dpa