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Was du siehst, verrät, wo du herkommst

Das Auge trügt nicht? Das stimmt nur bedingt. In ein und demselben Bild können Menschen zum Beispiel sehr unterschiedliche Dinge sehen – abhängig von ihrem Herkunftsort.

Welche Formen Menschen in dieser Grafik erkennen, verrät einiges über sie.
Foto: ---/Anthony Matthew Norcia/dpa

Rechtecke oder Kreise? Laut einer Studie lässt das, was Menschen in einem bestimmten grafischen Bild sehen, Rückschlüsse darauf zu, aus welcher Umgebung sie stammen. In einem Experiment von Forschern der Universität Harvard und der London School of Economics gaben 81 Prozent der Betrachter aus den USA und Großbritannien an, in der sogenannten Coffer-Illusion nur Rechtecke zu sehen, während 48 Prozent der Personen aus namibischen Dörfern nur Kreise sahen – und nur unter zwei Prozent ausschließlich Rechtecke. Keiner der Teilnehmer aus den USA und Großbritannien sah ausschließlich Kreise.

Umgebung spielt eine Rolle für die Wahrnehmung

Die Studie legt nahe, dass die Umgebung, in der Menschen aufwachsen oder leben, eine Rolle für die Wahrnehmung spielt – also dass Menschen, die umgeben von rechteckiger Architektur leben, diese Formen auch leichter erkennen. Die traditionellen Dörfer des indigenen Himba-Volkes in Namibia haben eher runde Hütten als Behausungen. Dies erklärt auch die Antwort einer von dort stammenden Teilnehmerin, die zwar Kreise wahrnahm, aber gleichzeitig antwortete, sie würde in dem Bild «Häuser» erkennen. 

Die Forscher erfassten die sich verändernde Wahrnehmung, indem sie die Probanden nach der ersten Antwort jeweils fragten, ob sie noch weitere Formen in dem Bild erkennen. Etwa 17 Prozent der Gruppe aus den USA und Großbritannien sahen zuerst Rechtecke und später Kreise. 3 Prozent sahen zuerst Kreise und dann Rechtecke. 48 Prozent der Namibier gaben an, zuerst Kreise und dann Rechtecke zu sehen, während die übrigen zuerst Rechtecke und dann Kreise sahen (unter drei Prozent).

Die Erkenntnisse einer dritten Testgruppe unterstützen die Analyse-Hypothese, die bisher noch nicht in einem Fachjournal, sondern als sogenannte Pre-Print-Studie online veröffentlicht wurde: Menschen aus Namibia, die nicht auf dem Land, sondern in städtischer Umgebung mit mehr rechteckigen Strukturen lebten, hatten eine gemischtere Wahrnehmung: 19 Prozent sahen nur Kreise, 67 Prozent sahen zuerst Kreise, dann Rechtecke und immerhin 13 Prozent sahen zuerst Rechtecke, dann Kreise.

Visuelle Wahrnehmung von Bevölkerungsgruppen unterscheidet sich

Laut der Studie wird die visuelle Wahrnehmung im Allgemeinen als ein Mechanismus betrachtet, der für alle Bevölkerungsgruppen gleich ist. Diese Annahme ist so fest verankert, dass die Wissenschaft nicht einmal untersucht hat, ob kulturelle Auswirkungen die Wahrnehmung beeinflussen.

Seine Erkenntnisse sieht das Forschungsteam als wichtigen Beleg dafür, dass kulturelle Erfahrungen bei der menschlichen Wahrnehmung sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. «Das zeigt, wie wichtig Vielfalt ist», wird der beteiligte Psychologe Michael Muthukrishna von der London School of Economics in einem Beitrag des Fachjournals «Science» zitiert. «Wenn man versucht, sich ein vollständiges Bild von der Welt zu machen, sollte man einige Leute im Raum haben, die Kreise sehen, während man selbst nur Rechtecke sieht.»

dpa