Wölfe fürchten den Menschen – selbst in geschützten Gebieten. Warum das so ist – und was das über unsere Rolle in der Natur verrät, zeigt eine neue Studie.
Wölfe bleiben scheu – selbst in streng geschützten Gebieten

Wölfe behalten ihre Furcht vor Menschen auch dort, wo sie unter Schutz stehen. Das zeigt eine im Fachjournal «Current Biology» veröffentlichte Studie. Die Raubtiere meiden demnach gezielt menschliche Nähe – selbst in Gegenden, wo sie kaum direkte Bedrohung erfahren.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Wildtierökologin Liana Zanette von der Western University im kanadischen London hat Wölfe in einem großen Gebiet in Polen beobachtet. Das Team hat mit versteckten Kamera-Lautsprecher-Systemen festgehalten, wie Wölfe auf verschiedene Geräusche reagierten – einschließlich Hundegebell, ruhiger menschlicher Stimmen und zur Kontrolle Vogelrufe.
Ergebnis: Wenn menschliche Stimmen zu hören waren, flohen die Wölfe mehr als doppelt so oft und verließen den Ort rund doppelt so schnell im Vergleich zu harmlosen Naturgeräuschen. Auch Beutetiere der Wölfe wie Wildschweine und Rehe zeigten eine ähnlich starke Reaktion.
«Wölfe sind nicht die Ausnahme, wenn es darum geht, Angst vor Menschen zu haben – und sie haben allen Grund dazu», sagt Zanette. Menschen töten global gesehen große Raubtiere wie Wölfe laut Studie im Schnitt neunmal häufiger, als diese natürlicherweise sterben würden. Deshalb spreche man unter Biologen vom Menschen als einem «Super-Räuber».
Furcht treibt Wölfe in die Nacht
Die Studie zeigt auch, dass die Angst das Verhalten der Wölfe stark beeinflusst – vor allem den Tag-Nacht-Rhythmus. In dem untersuchten Gebiet, in dem Wölfe streng geschützt sind, waren die Tiere fast fünfmal so nachtaktiv wie der Mensch, so die Studie.
Laut den weltweiten Daten sind Wölfe überall dort, wo Menschen leben, vor allem nachts aktiv. Die Untersuchung fand in der Tucheler Heide (polnisch Bory Tucholskie) statt, einer großen Wald- und Heidelandschaft in Nordpolen.
Für Wölfe – wie für alle Tiere – gehe es mit Blick auf Nahrung um die Frage: «Wie komme ich an Futter, ohne selbst zur Beute zu werden?», sagt Zanette. Dieses grundlegende Abwägen von Risiko und Belohnung sei der Schlüssel zum Verständnis von Mensch-Tier-Konflikten.
Gefahr trotz Schutzstatus
Zanette betont, dass gesetzlicher Schutz nicht automatisch bedeutet, dass Wölfe sicher vor menschlicher Tötung sind. In einigen EU-Ländern wie Frankreich ist es erlaubt, unter bestimmten Bedingungen bis zu rund 20 Prozent der Wolfspopulation pro Jahr zu entnehmen. In Deutschland hingegen sind Wölfe streng geschützt, Abschüsse dürfen nur in Ausnahmefällen erfolgen.
Trotzdem wird immer wieder vermutet, dass Wölfe durch Schutzmaßnahmen ihre natürliche Scheu verlieren – eine Annahme, die die aktuellen Daten nicht unterstützen. Die Beobachtungen zeigen stattdessen: Selbst in Gebieten, wo Wölfe streng geschützt sind, meiden sie bewusst den Kontakt mit Menschen.
Nicht furchtlos, sondern hungrig
Wölfe, die sich menschlichen Siedlungen nähern oder auf Nahrungssuche in Dörfer vordringen, sind den Forschenden zufolge nicht etwa mutig, sondern schlicht hungrig – und durch den Geruch oder die Verfügbarkeit von Lebensmitteln angelockt. «Die Lösung liegt darin, ihnen keinen Zugang zu unserem Essen zu geben – sei es in Form von Abfällen oder ungeschütztem Vieh», so Zanette. Nur so ließen sich Konflikte langfristig vermeiden.