Es brauche einen verbindlichen Rahmen, um Kinder effektiver vor Gewalt zu schützen, sagt die Missbrauchsbeauftragte Claus. Ein zentrales Hilfsangebot ist an diesem Donnerstag zehn Jahre alt geworden.
Zehntausende Anrufe: Hilfe-Telefon bei sexuellem Missbrauch
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, fordert einen effektiveren Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. «Kinder müssen umfassender geschützt werden», sagte Claus der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Jubiläumsveranstaltung des Hilfe-Telefons für Betroffene sexuellen Missbrauchs in Berlin.
Die zahlreichen Anrufe, die das Hilfe-Telefon verzeichnet, zeigen, dass der Schutzbedarf hoch ist, erklärte Claus. Nach Angaben der Beauftragten sind in den vergangenen zehn Jahren rund 50.000 Anrufe beim Hilfe-Telefon eingegangen – und es werden immer mehr.
Claus sagte, dass es zum Schutz von Betroffenen «klarer Handlungsabläufe» bedürfe, damit jeder wisse, was im Notfall zu tun sei – analog zu Regelungen, die die Gesellschaft beispielsweise für den Brandschutz etabliert habe. Wenn es brenne, wisse jeder, was zu tun sei, sagte Claus. Das sei bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nicht der Fall. «Wir brauchen Schutzkonzepte überall dort, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten und das brauchen wir auch in einer gesetzlichen Verankerung geregelt», sagte Claus mit Blick auf ein entsprechendes Gesetz der Bundesregierung, das derzeit noch in Arbeit ist. «Ich erwarte, dass die Bundesregierung sich jetzt schnell verständigt.»
Claus: Angebote müssen mitwachsen
Das aus Sicht von Claus längst überfällige Gesetz betreffe nicht nur die Prävention von sexueller Gewalt, sondern unter anderem auch die Finanzierung von Beratungsangeboten. «Hilfen und Beratung müssen stabil finanziert sein und bleiben. Wenn die Nachfrage steigt, müssen die Angebote mitwachsen», sagte Claus. Auch das müsse verbindlich per Gesetz festgeschrieben sein.
Eines der seit längerem bestehenden Angebote ist das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch, das an diesem Donnerstag in Berlin sein zehnjähriges Bestehen begangen hat. Nach Angaben der Missbrauchsbeauftragten wenden sich immer mehr Betroffene an die kostenfreie Nummer oder das dazugehörige Online-Angebot. Bei den rund 50.000 Anrufen, die seit 2014 eingegangen seien, handele es sich bei einem Viertel um Menschen, die direkt von sexueller Gewalt betroffen seien, sagte Claus. «Die Tendenz steigt.» Jeden Monat gebe es 500 bis 600 telefonische Beratungen sowie 250 bis 300 übers Internet.
Häufig würden die 33 Mitarbeiter des Telefons auch mit Eltern, anderen Angehörigen oder auch mit Lehrerinnen und Lehrern sprechen, die Auffälligkeiten beobachteten und um Hilfe bäten. Sie beobachte eine «zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung für das Thema sexualisierte Gewalt», sagte Claus. Das Telefon sei «eine absolute Erfolgsgeschichte» und vor allem als erste, niedrigschwellige Anlaufstelle gedacht. Die Anrufer bekämen dort eine erste Einschätzung und Orientierung zu ihrem konkreten Fall sowie Informationen über Fachberatungsstellen.
Das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch wird vom Verein N.I.N.A e.V. durchgeführt. Jährlich erhält es etwa 1,4 Millionen Euro aus dem Etat der Missbrauchsbeauftragten. Seit 2021 bietet der Verein auch eine Online-Beratung als Teil des Projekts an. Betroffene und Personen, die Fälle melden möchten, können sich über die Online-Beratung anonym und schriftlich an Fachberater auf der Plattform wenden.
Laut der Leiterin der Online-Beratung, Tanja von Bodelschwingh, nutzen im Vergleich zur telefonischen Unterstützung deutlich mehr Jugendliche das digitale Angebot. In 75 Prozent der Fälle handelt es sich um Mädchen, die oft Gewalt in der eigenen Familie erfahren.