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Kindern den Besuch auf Intensivstationen ermöglichen

Kinder können Besuche verarbeiten, wenn altersgerecht informiert. Besuch kann bei Genesung helfen und Ängste mindern.

Auf Kinderintensivstationen dürfen Geschwister schon lange zu Besuch kommen.
Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Feuerwehrleute, Taucher und Astronauten sind häufige Motive in Kinderbüchern. Technische Geräte wie Atemmasken werden als aufregend angesehen. Allerdings zögern viele Menschen, Kinder mit auf Intensivstationen in Krankenhäusern zu nehmen. Zu viele Kabel, zu viele Geräte: so lautet ein Vorurteil. Dies verursacht Angst. Der ungewöhnliche Geruch und der Anblick kranker oder sterbender Menschen seien nicht gut für Kinder. Diese Einstellung ist nicht psychologisch fundiert.

Kinder können nicht vermeiden, sich mit Krankheit und Tod auseinanderzusetzen, wenn ein Elternteil schwer krank ist, ein Großelternteil stirbt oder ein Geschwisterkind auf der Intensivstation liegt.

Die zuständige Fachgesellschaft Divi (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) mit Sitz in Berlin hat vor rund eineinhalb Jahren ein Papier mit Empfehlungen für Kinderbesuche auf Intensivstationen herausgegeben. «Kinder können Besuche sehr wohl verarbeiten, wenn sie altersgerecht informiert werden», heißt es dort. Auch gehe kein besonderes Infektionsrisiko von Kindern aus.

Ein Besuch in der Klinik kann Kindern guttun

Demnach gibt es zwar Ausnahmen, in denen Kinder den Besuch als traumatisierend erlebten. «Doch dürfen diese Ausnahmen als Begründung verwendet werden, um Kindern generell den Besuch zu verwehren?», schreiben die Fachleute. Auch ein Nicht-Besuch könne schaden. Fehlender Kontakt zu einem kranken Familienmitglied verstärke möglicherweise Ängste und Sorgen bei Kindern. «Aus psychotraumatologischer Perspektive kann ein Besuch auf der Intensivstation eine wertvolle korrigierende Erfahrung bei Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Entsetzen sein.»

Der Intensivpfleger Dieter Filser aus Franken drückt es so aus: «Wir wünschen uns, dass Kinder Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte entwickeln. Wenn wir sie von Krankenhausbesuchen abhalten, machen wir das Gegenteil.» Er glaubt, für Kinder folge dann logisch: Wenn ich da nicht hin darf, muss es dort schlimm sein. Dabei würden Kinder in der Regel keine Qualen zu sehen bekommen. «Wenn sich jemand quält, haben Medizin und Pflege versagt», meint der Pfleger.

Kinderbesuche können bei der Genesung helfen

Einige Kliniken und Stationen haben die neuen Empfehlungen bereits umgesetzt. Laut Patrick Meybohm, Direktor der Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin am Uniklinikum Würzburg, ist der Besuch von Kindern seit 2020 möglich und findet etwa drei- bis fünfmal pro Jahr statt.

Der Kinderbesuch könne bei der Genesung helfen, wenn der Patient oder die Patientin ihn wünscht, sagt Meybohm. Das gelte vor allem nach der akuten Krankheitsphase. «Der Besuch der Kinder kann eine starke Motivation sein, weiterzumachen und die Geduld für Training und Kraftaufbau zu finden.» Der Besuch werde immer im Team geplant.

Das entspricht den Empfehlungen der Divi. Daher ist es ratsam, einen Besuch sorgfältig vorzubereiten und zu begleiten. Es ist auch wichtig, dass Kinder und Personal nach dem Besuch über ihre Erfahrungen sprechen können. Die Divi hat speziell für Personen, die auf Intensivstationen arbeiten, Workshops und Kurzfortbildungen entwickelt.

Kinder oft unbefangen bei Krankenhausbesuchen

Auf Kinderintensivstationen wie Frühchen-Stationen ist der Besuch von Geschwisterkindern schon lange üblich. Hier hat laut Divi in den 1980er-Jahren ein Umdenken begonnen. «Geschwisterkinder gehen meist sehr unbefangen mit der Situation um, selbst, wenn der Grund der Hospitalisierung sehr ernst ist», erzählt Christoph Bührer, Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin.

Es gibt auch Vorteile beim Besuch: Die Zusammenhänge vor Ort lassen sich Kindern viel besser erklären. Zudem könnten manche Kinder eifersüchtig werden, wenn ein Geschwister länger im Krankenhaus bleiben muss. Ein Besuch sei ein Weg, um sie einzubeziehen.

Angst vor zu viel Kabeln sei meist nicht das Thema, sagt Bührer. «Die Kinder wissen, da sind lauter Apparate; das ist wie auf einem Raumschiff.» Wichtiger sei, sie darauf vorzubereiten, dass das Geschwisterchen sehr klein und eventuell sediert ist. «Aber das ist unsere Aufgabe, das zu erklären.»

Dass Apparate nicht unbedingt Angst machen, sondern von Kindern als normal angesehen werden können, berichtet auch die Vorsitzende des Bundesverbandes behinderter und chronisch kranker Eltern, Kerstin Weiß. «Für manche Kinder ist es Alltag, ihre Eltern mit Prothesen oder Beatmungsgerät zu sehen.»

Sterben tabuisieren kann Angst auslösen

Kinder sollten auch nicht von sterbenden Menschen ferngehalten werden. Die Divi empfiehlt, mit Kindern offen über Sterben, Tod und Trauer zu sprechen. Selbst wenn lebenserhaltende Maßnahmen beendet werden, sollte in Betracht gezogen werden, ob das Kind oder die Kinder dabei sein sollten.

Gegen die Tabuisierung von Tod und Sterben gegenüber Kindern wenden sich auch Projekte wie «Hospiz macht Schule», «Letzte Hilfe Kids & Teens» und «Sarggeschichten». «Kinder brauchen ehrliche Antworten und Informationen zu den Geschehnissen, die um sie herum passieren», meinen die Macherinnen der Sarggeschichten. Kinder spürten Heimlichkeiten, die sie dann eben nicht schützten, sondern eher Angst auslösten. Kinder bräuchten Abschiede. Werden Kinder davon ausgeschlossen, werde ihnen eine wichtige Ressource zur Verarbeitung von Verlusten genommen.

Auch Videobesuche möglich auf Intensivstationen

Besuche von Kindern auf Intensivstationen sind daher nicht mehr tabu. Aber es ist wichtig, dass kein Kind mitgebracht wird, wenn die erkrankte Person oder das Kind selbst es nicht möchten, wie die Empfehlung der Divi besagt. Als Alternative können die Kinder zum Beispiel ein Bild malen oder einen Brief schreiben. Einige Stationen bieten auch Videobesuche an.

Um Kinder auf den Besuch vorzubereiten, gibt es Bücher wie «Emma besucht die Intensivstation» oder «Zu Besuch auf der Intensivstation». Das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) hat angelehnt an ein britisches Vorbild ein Malbuch für Kinder konzipiert. Das online verfügbare Buch erklärt, was eine Intensivstation ist und enthält Bewältigungshilfen wie einen sogenannten Sorgenbaum. Einen Flyer, der Kinderfragen beantwortet und Tipps für einen Besuch enthält, gibt es auch bei der Divi.

dpa