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Neue Schuldenregeln für EU-Staaten nehmen letzte Hürde

Lange wurde über Europas neue Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert – ein Kompromiss steht, auch wenn er umstritten ist. Ein Ministerrat soll nun final grünes Licht geben.

Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts: In Zukunft soll die individuelle Lage von EU-Ländern stärker berücksichtigt werden.
Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Die neuen Regeln für Staatsschulden und Haushaltsdefizite in der EU stehen kurz vor der endgültigen Verabschiedung. Nach intensiven Diskussionen haben sich die Mitgliedsstaaten mit dem Europaparlament auf eine kontroverse Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts geeinigt, der unter anderem Höchstgrenzen für Schulden festlegt. Zukünftig sollen klare Mindestanforderungen für die Reduzierung der Schuldenquoten hoch verschuldeter Länder gelten. Gleichzeitig soll die individuelle Situation der Länder stärker berücksichtigt werden, wenn es um EU-Zielvorgaben geht.

Um sicherzustellen, dass die Reform schnell in Kraft tritt, werden die finalen formalen Beschlüsse heute bei einem Treffen des EU-Agrarministerrats gefasst. Dieses Vorgehen ist üblich, wenn Gesetzestexte vollständig verhandelt wurden und ohne weitere Diskussion angenommen werden können. Letzte Woche hatte auch das Europaparlament bereits seine Zustimmung gegeben.

Was der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist

Das Regelwerk soll sicherstellen, dass die Länder die Budgetdisziplin einhalten und somit solide öffentliche Finanzen gewährleisten. Diese sind eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität in der EU und im Euro-Raum. Im Falle einer Überschreitung der Obergrenzen können Schulden-Strafverfahren, auch als Defizitverfahren bekannt, eingeleitet werden. In diesem Fall muss ein Land Maßnahmen ergreifen, um die Verschuldung und das Defizit zu reduzieren.

Die bisherigen Regeln aus den 1990er Jahren wurden von Kritikern seit langem als zu kompliziert und zu streng angesehen. Zuletzt waren die Strafverfahren wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine ganz ausgesetzt. Vor allem 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern deutlich über der Drei-Prozent-Marke.

Was künftig gelten soll 

Im Grunde soll in der EU unter den neuen Vorschriften auch weiterhin gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Darüber hinaus soll das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit – also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts – unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehalten werden.

Zukünftig sollen laut den Plänen jedoch unter anderem die individuellen Gegebenheiten der Länder stärker berücksichtigt werden. Die EU-Kommission, die für die Aufsicht zuständig ist, soll beispielsweise während einer Übergangszeit den Anstieg der Zinszahlungen bei der Berechnung der Anpassungsbemühungen berücksichtigen können. Falls Mitgliedstaaten überzeugende Reform- und Investitionspläne vorlegen, die die Widerstandsfähigkeit und das Wachstumspotenzial verbessern, könnte auch die Frist zur Schuldenreduzierung verlängert werden.

Zusätzlich sind Schutzmaßnahmen geplant: Länder mit einem Schuldenstand von über 90 Prozent sollen ihre Schuldenquote um einen Prozentpunkt pro Jahr senken, während Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte reduzieren müssen.

Warum die neuen Vorschriften umstritten sind

Kritiker betonen immer wieder, dass die Regeln erforderliche Investitionen in Bereiche wie den Klimaschutz oder das Sozialwesen einschränken. Eine Analyse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) ergab Anfang April, dass nur Dänemark, Schweden und Irland ab 2027 in der Lage sein werden, die erforderlichen Ausgaben zu tätigen, wenn die geplanten Regeln eingehalten werden. Auch in Deutschland würden Investitionen laut dieser Analyse stark behindert. Die Grünen im Europaparlament betrachten die Reform ebenfalls kritisch. Die Europaabgeordnete Henrike Hahn sagte, dass sie den Anforderungen der Zeit nicht gerecht werde.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hingegen ist zufrieden. Deutschlands zentrales Anliegen – «finanzpolitische Stabilität» – finde sich in den Gesetzestexten wieder, sagte der FDP-Politiker jüngst. «Wir bekommen klare Regeln für den Schuldenabbau, die dann auch mit einer realistischen Perspektive durchgesetzt werden können.» Auch die christdemokratische EVP-Fraktion im Europaparlament sprach sie für die Reform aus. Das neue Regelwerk schaffe mehr Klarheit und stelle die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides Fundament, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher und CSU-Abgeordnete Markus Ferber.

Wie es weitergeht

Nachdem die EU-Länder die Bestätigung gegeben haben, müssen die neuen Vorschriften noch im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden, damit sie wirksam werden können. Dies wird voraussichtlich Anfang Mai geschehen. Ab diesem Frühjahr sollen die Defizitverfahren wieder eröffnet werden können – höchstwahrscheinlich werden dann bereits die neuen Regeln gelten. Laut den neuesten Daten des EU-Statistikamtes Eurostat haben im vergangenen Jahr mehrere Länder die Obergrenzen überschritten.

dpa